Ich stehe hinter der Bühne. Draußen füllt sich der Stadtsaal. Langsam. Allmählich. Wie schon oft in den letzten Jahren, wird er nicht komplett voll sein, wenn wir die Bühne betreten. Zu unserem Frühjahrskonzert kommen meist nur Verwandte und Freunde. Ab und an ein paar Touristen. Es ist ein intimes Konzert. Intim im großen Rahmen. Ich wechsle noch ein paar Worte mit einem Stimmkollegen. Wir haben gehofft, dass ein paar Leute mehr kommen. Doch der Spannung, so kurz vor dem Auftritt, tut dies keinen Abbruch. Gleich geht es los. Es wird ein tolles Konzert.
Wir spielen uns kurz ein und stimmen die Instrumente. Jetzt muss alles passen. Unser Kapellmeister betritt die Bühne. Das Publikum ist schon längst im Dunkel verschwunden. Wir sitzen im Rampenlicht. Jetzt geht es los. Gleich müssen die Noten und Klänge ineinandergreifen. Rhythmisch. Harmonisch. Für diesen Moment haben wir ein halbes Jahr geprobt. Ton für Ton. Takt für Takt. Nun wäre es egal, wenn nur eine Person im Publikum sitzen würde. Ist es tatsächlich. Übermorgen ist Muttertag. Im Stillen beschließe ich für mich, dass ich dieses Konzert für meine Mama spielen werde. Jetzt bin ich nervös.
Im Publikum habe ich mehrere Leute gebeten mitzuschreiben. Ihre Emotionen während dem Konzert. Die Bilder die die Stücke malen. Das Ergebnis eines Versuches:
Teil 1 des Konzertabends:
Of Skies, Rivers, Lakes and Mountains – Phillip Sparke
„Verträumter Einstieg. Zieht einen ein wenig in den Bann. Lässt den Alltag vergessen. Verspielte hohe Klänge schaffen das Bild einer freundlich gestimmten Crew bis der imposante Auftritt des 6 Masters folgt. Eine stolze Parade im Hafen ist zu hören. Kein ton daneben. Die Berge schroff, in einer leicht melancholischen Stimmung. Nachdenklich. Steigerung zu dramatischem Höhepunkt der sich zwar schwer, jedoch positiv auflöst.“ – Zuhörer in der ersten Reihe.
„Gute Opening. Sehr schwungvoll und leicht. Virtuose Register. Allen voran Hörner, Oboe, Klarinetten und Saxophone lassen für den Abend viel erwarten und erhoffen. Die Register sind gut abgestimmt. Feine Stimmung herrscht vor. Überzeugende Tempi-Wechsel. Schönes, melancholisches Saxophon-Solo im 3. Satz. Trompeten sehr im Hintergrund. Sie sind wenig zu hören. Gänsehaut-Furiose. Sparke hat für diese Kapelle geschrieben.“ – Zuhörer weiter hinten im Saal.
„Ich bin zufrieden. Der Start in das Konzert ist gelungen. Wir sind nicht auseinandergebrochen. Auch die ruhigen Stellen, in denen man so schnell den Faden verlieren kann, haben wir überstanden. Ich wusste, dass jemand in der Pause zwischen erstem und zweitem Satz klatschen wird. Wie die sich jetzt wohl fühlen? Haben sie rote Köpfe? Im dritten Satz müssen wir aufpassen. Die Läufe sind hinterlistig. Wir hatten die schon einmal besser drauf.“ – ich auf der Bühne.
Andante und Rondo – Antonio Capuzzi
„Magdalena Frena mit Solo für Tuba. Tiefe Töne der Tuba beruhigen. Kontrabass begleitet. Xylophon arbeitet im schönen Kontrast. Untermalung der Klarinetten harmonisch. Verspielter zweiter Teil lädt zum Fest. Tuba in Höchstleistung. In allen Höhen und Tiefen arbeitet sie sich stetig nach oben und unten. Eindrucksvoll.“ – Zuhörer in der ersten Reihe.
„Das Orchester hat Probleme ins Stück zu kommen. Sowohl von der Stimmung als auch beim Tempo lässt sich das Orchester zu sehr von der Nervosität der Solistin anstecken. Das Zusammenspiel fängt sich im zweiten Satz. Das Soloinstrument kann sich nur schwer vom Orchester abheben. Das Stück hat dennoch vielversprechende Teile parat. Der Klang des Orchesters ist ein reifer. Die Solistin lernt das Instrument erst seit Kurzem. Vielleicht kam das Solokonzert doch ein, zwei Jahre zu früh?“ – Zuhörer weiter hinten im Saal.
„Geschafft. Wieso klatschen die Leute heute so verhalten? Das Stück war doch Klasse. Wie schafft man es nur aus einem so großen Instrument so schnell, so viele Töne rauszubringen? Ob die Magdalena nervös war? Jetzt sieht sie zumindest gelassen aus. Irgendwie gelöst. Sie lächelt. Also wird sie zufrieden sein. So tänzerisch kam mir der zweite Teil während den Proben gar nie vor. Stücke mit Solisten sind eben doch etwas für die Bühne!“ – ich auf der Bühne.
Tango Virtuoso – Saxophonquartett
„Saxophone in den Höhen ausgereizt. Aufreizende Stimmung. Glanzleistung. Tango-Thema jedoch immer wieder unterbrochen. Leidenschaftlich und emotional.“ – Zuhörer in der ersten Reihe.
„Absolut virtuos. Minutiös, präzise einstudiert. Absolute Musik der Spitzenklasse. Jeder der vier Musiker weiß was er tut – nämlich großartige Saxophonmusik die es mi den großen Ensembles dieser Welt aufnehmen kann, mitten in die Alpenmetropole zu zaubern“ – Zuhörer weiter hinten im Saal.
„Alter Schwede. Wie gut war das? Ob die Leute jetzt denken, dass wir alle so gut drauf sind? Ich hätte Knoten in den Fingern. Wow. Stolz. Die haben wirklich einen Sonderpreis erhalten? Für das beste kapelleninterne Ensemble Tirols. Wie würden die wohl abschneiden, wenn sie international gegen andere Antreten würden? Sicher gut. Hoffentlich glaubt das Publikum wirklich, dass wir alle so gut drauf sind.“ – ich auf der Bühne.
Donausagenwalzer – Julius Fucik
„Walzer. Ländlich, waldiger Einstieg durch die Tuben. Schön, dass ein Walzer auch im Wald gespielt werden kann.“ – Zuhörer in der ersten Reihe.
„Waldhornfans kommen hier auf ihre kosten. Wunderbare Klänge aus dem Waldhornregister. Erfrischend. Wellen. Plätschernd wie die Donau. Stellenweise vielleicht etwas zu stürmisch. Insgesamt aber souverän gespielt und sicherlich im Sinne des anwesenden Arrangeurs Hans Eibl.“ – Zuhörer weiter hinten im Saal.
„Herrlich. Mein Lieblingsstück. Das war für Mama. In der Pause muss ich meine Eltern fragen welches Stück ihnen am besten gefallen hat und ihnen gleich sagen, dass das hier das beste war. Ich liebe die alten Walzer. Die entführen dich. In eine höfische Zeit. Voller Glanz und Heiterkeit. Wie schaut der Hans Eibl drein? Er lächelt sanft. Irgendwie ungläubig. Hat es ihm gefallen? War er zufrieden? Immerhin hat er das Stück für Blasorchester umgeschrieben. Hat er sich das so vorgestellt? Ist er nur wegen diesem einen Stück hier? Er hat doch auch Klarinette gespielt. Oje. Ob er gehört hat, dass ich im letzten Teil zwei Mal ein Vorzeichen versemmelt habe? Nein er lächelt. Er lächelt!“ – ich auf der Bühne.
Teil 2 des Konzertabends:
Der Gladiator – Hans Zimmer
„Querflöten ausdrucksstark. Ich liebe Hans Zimmer. Er hat meine Diplomarbeit mitgeschrieben. Trotz Gladiator -sehr ruhige und beruhigende Grundstimmung über lange zeit. Steigerung in Tempo und Lautstärke gelungen. Wirkt stimmig. Dieses Stück. Eine emotionale Achterbahn.“ – Zuhörer in der ersten Reihe.
„Man merkt ab dem ersten Takt, dass das Orchester mit der Interpretation von Filmmusik vertraut ist. Gut gespielte Musik. Leinwandbilder entstehen im Kopf. Perfekte Intonation. Super Tempi. Große Stimmung. That’s Hollywood!“- Zuhörer weiter hinten im Saal.
„Hans Zimmer hat es einfach drauf. Die schwierige Rythmusstelle bei 216 hat auch gepasst. Yesss. Das Thema am Ende klingt aber echt nach „Fluch der Karibik.“ Ob der Hans Zimmer das oft hört?“ – ich auf der Bühne.
Prelude and Scherzo – Klarinetten Quartett
„Nachdenkliche Stimmung. Der Wechsel zwischen den klassischen Klarinetten und dem Saxophon-Ensemble in der Führung und der Taktvorgabe – sehr spannend zu beobachten.“ – Zuhörer in der ersten Reihe.
„Wie schon das Saxophonquartett zuvor – virtuos. Präzise aufeinander abgestimmt. Gute Grundstimmung. Feine Ensemblemusik.“ – Zuhörer weiter hinten im Saal.
„Wie viele von den Jungs haben das goldene Abzeichen gemacht? Fast alle, oder? Wie oft haben die wohl geprobt? Sehr präzise gespielt. Ob ich das auch noch hinbekommen würde? Mit etwas üben wahrscheinlich schon. Muss nach dem Konzert gleich Walter und Gerhard fragen, ob sie Lust haben. Nächstes Jahr spielen wir hier. Die 3. Klarinetten im Scheinwerferlicht. Von der Routine her müsste das doch klappen. Die Leute hätten sicher ein Schmunzeln im Gesicht.“ – ich auf der Bühne.
El Camino Real – Alfred Reed
„Aufbrausender Start – erzeugt von Schlagzeug und Tuba. Geschwindigkeit durch die Klarinetten. Percussions schaffen das Bild der Stierarena kurz vor dem Höhepunkt des Kampfes. Der Torrero immer wieder in brenzligen Situationen. Meistert es und kann auszuweichen. Der kampf ist zu ende, es legt sich eine nachdenkliche Stimmung über das Orchester. Frieden. Ruhe. Doch wen hat es erwischt? Stier oder Torrero? Die stimmung sagt uns in ruhigeren, langsameren Tönen, dass es der Stier ist. Der Torrero wird jedoch nicht aufbrausend gefeiert sondern mit Respekt dem Stier gegenüber. Auch dessen Tod wird betrauert. Nach angemessener Trauerphase kommt jedoch noch einmal der stolz des Torreros zum Vorschein.“ – Zuhörer in der ersten Reihe
„Schwungvoll. Spanisch. Überzeugende Percussions. Authentisch. Teilweise enthusiastisch gespielte Melodien. Schöne Tenorhorn- und Bass-Stellen. Kräftiges Olé am Ende des Stückes.“ – Zuhörer weiter hinten im Saal.
„Mist. Völlig auf das Olé am Ende vergessen. Was war das gerade? So schnell haben wir die Läufe noch nie gespielt. Temperamentvoll. Ich bin zufrieden. Beim Mittelteil war ich kurz draußen. Dafür hat diesmal das Ende echt super geklappt. Habe ich die 32stel-Läufe gerade wirklich gespielt? Ne? Blick zum Walter neben mir. Er scheint auch zufrieden zu sein.“ – ich auf der Bühne.
A Rock Selection – Mike Sutherland
„Geballtes umwerfendes Smoke on the water. Die tiefen Töne treffen die typische Tonabfolge perfekt. Richtige Stimmung. Time is tight hebt die Stimmung. Tempo steigt an. Flashdance zieht einen in die 80er. Hochstimmung. Vor allem durch Saxophone und Posaunen.“ – Zuhörer in der ersten Reihe.
„Bis zum letzten Takt enthusiastisch. Ein würdevoller Abschluss!“ – Zuhörer weiter hinten im Saal.
„Smooooooooke on the waaaaater. Tätätääää. Tätätätääääää.“ – ich auf der Bühne.
Wir spielen noch die Zugaben. Dann verbeugen wir uns artig und verlassen die Bühne. Ich helfe beim Zusammenräumen. Wir sprechen darüber, dass wir nächstes Jahr noch mehr Werbung machen müssen. Nächstes Jahr wird der Saal bestimmt voll. Wir laden die Notenständer ein. Leider schaffe ich es nicht mehr meine Eltern zu sehen. Sie fahren am nächsten Morgen auf Urlaub und gehen deshalb früh heim. Ich muss unbedingt meine Mama gleich in der Früh anrufen und fragen welches Stück ihr am besten gefallen hat. Es war ja schließlich ihr Muttertagskonzert!
Ein herzliches Dankeschön an meine beiden Co-Autoren: GR Mag. Lorenz Jahn (als Ehrengast in der ersten Reihe) und Dr. Rainer Schlichtherle (als begabter (Wald-)Hornist und wissend, dass die Akustik hinten besser ist, weiter hinten im Saal). Danke!
Herzliche Gratulation an "meine" Stadtmusikkapelle Innsbruck - Mariahilf/St.Nikolaus: 60 MusikerInnen auf Schiene zu bringen (terminlich und musikalisch) ist immer wieder eine Herausforderung. Vielen Dank für das wunderbare Konzert. Immer wieder eine Freude!