22:17. Ein warmer, schöner Sommerabend. Ich sitze gerade im Shuttle-Bus, der mich vom ersten „Ambraser Schlosskonzert“ wieder in die Innsbrucker Innenstadt bringt. Ich schwitze, da ich mich statt für eine locker lässige Kleidung für die etwas vornehmere Variante entschieden haben. Schließlich ist das ja nicht irgendein Konzert, sondern ein Konzert im Rahmen der „Innsbrucker Festwochen der Alten Musik“. Die Gespräche um mich herum haben vor allem einen Inhalt. „Sehr schön“ sei das Konzert gewesen.
Ein Problem habe es aber gegeben: Das Restaurant auf Schloss Ambras sei geschlossen gewesen. Jetzt habe man statt einem anständigen Essen halt mittelmäßige Brezen vom Stand vor dem Spanischen Saal essen müssen. Die Stimmen klingen damit einerseits zufrieden, weil das Konzert „sehr schön“ war, andererseits leicht aufgebracht, weil der Rahmen nicht gestimmt hat und der kulinarische Genuss in keinem adäquaten Verhältnis zum musikalischen Genuss gestanden ist.
Ganz grundsätzlich wird mir Jahr für Jahr aufs Neue bewusst, dass ich „Alte Musik“ zwar sehr mag, mir die Besucherinnen und Besucher dieser Veranstaltungen aber doch einigermaßen suspekt bleiben. Ein bisschen viel der Repräsentation und der überkandidelten Kleidung ist das dann doch. Irgendwie habe auch immer das Gefühl, dass sich die Gäste bemühen angemessen ins Schloss Ambras zu schreiten. In gewisser Weise würdevoll, dem Rahmen angemessen. Schließlich ist es ja denkbar hier Gott und die Welt zu treffen, zumindest aber einige Journalisten, Politiker und sonstige Menschen mit Rang und Namen.
Sich hier die Blöße zu geben und die falsche Haltung und das falsche Auftreten an den Tag zu legen könnte ganz schön verfänglich sein. Ein wenig erinnert der Rahmen dabei an eine Inszenierung, an ein Theaterstück. Die Menschen scheinen sich recht sicher zu sein, welche Rolle sie darin spielen.
Die Rolle ist meistens eine, in der man besser ein Glas Sekt oder Rotwein in der Hand hält als eine Flasche Bier. Wer Bier trinkt, trinkt es immerhin in einem Glas. Wer sich mit einer Flasche Bier ohne Glas auf eine der Parkbänke im Schloss Ambras setzt und vielleicht dann in der Pause auch gleich noch ein zweites Bier aus der Flasche trinkt, wird eher schief angesehen.
Wenn ich etwas aus dem gestrigen Abend gelernt habe, dann zumindest das. Das nächste Mal wird es auf alle Fälle ein Glas werden. Möglicherweise bin ich aber auch schon bereit Sekt trinkend an einem der aufgestellten Tische zu stehen und mich in der Pause angeregt darüber zu unterhalten, dass das Konzert aber nun wirklich „sehr schön“ und „eindrucksvoll“ gewesen sei. Ein bisschen Gespräche über Wetter und über die anstehende Hitzewelle lassen sich bei solchen Konversationen dann auch noch einstreuen. Ich denke ich könnte das.
Die Ambraser Schlosskonzerte: Was lässt sich über die gebotene Musik wirklich sagen?
Der „Spanische Saal“ beim Konzert war jedenfalls bestens gefüllt. Dieser Saal hat mir schon immer gefallen. In der kurzen Rede von Markus Korselt und Allesandro de Marchi erfuhr ich, dass die Sache mit dem „Stylus Phantasticus“ an diesem Abend nicht ganz so ernst zu nehmen sei. Dieser Begriff stünde zwar für eine bestimmte Epoche und Richtung, in der ganz kräftig improvisiert wurde. Aber es sei halt auch ein Begriff, der in enger Verbindung mit der Phantasie und der Kreativität stünde. Davon würde es an diesem Abend nun wahrlich reichlich und genug zu hören geben.
Der „Star“ des Abend ist schnell benannt und gleich erkannt: Giuliano Carmignola. Er spielte expressiv, nahm sich wohl, mit meinem etwas laienhaften Ohr geurteilt, die eine oder andere spielerische Freiheit. Dabei schafft er vor allem eines: Sein virtuoses Spiel wirkt zugleich leichtfüßig, lässig, fast schon beiläufig und eben doch virtuos und eindrucksvoll.
Möglicherweise ist das auch der Effekt, auf den er in diesem Rahmen abzielt: Zeigen, mit welcher Leichtigkeit er komplexe Stücken spielen kann bei gleichzeitiger Betonung, dass das halt schon komplexes Zeug ist, das nun wirklich nicht jedermann und jederfrau ähnlich gut wie er spielen kann. Ob das dann auf eine bescheidene Art „effektheischend“ genannt werden kann? Möglicherweise. Aber es funktionierte. Und war zum Glück meilenweit entfernt von so mancher Effekt-Fokussierung des einen oder anderen Superstars der klassischen oder „alten“ Musik. Namen nenne ich jetzt einfach mal keine. Ich bin sicher es fallen fast jedem selbst ein paar Namen ein.
In der Pause, mit einer Bierflasche auf einer Parkbank im Schloss Ambras sitzend, stellte ich mir vor allem eine Frage: Ist diese Fokussierung auf Stars und große Namen ein Ausdruck der Gesellschaft und der Zielgruppe, die solche Konzerte besucht und rezipiert? Braucht es große Namen, damit man danach nicht nur sagen kann, dass es eben „sehr schön“ gewesen sei, sondern dass man auch davon sprechen kann diesen und jenen Musiker von Weltrang gesehen zu haben?
Verdrängte diese Haltung etwa gar die wirkliche Beschäftigung mit der Musik? Ging es nicht mehr um die Musik an sich und deren Qualität, sondern darum, etwas inszeniert Einzigartiges und Erzählenswertes vorgesetzt zu bekommen? Somit wird daraus eine Veranstaltung, bei der das danach reden darüber fast schon gleich wichtig ist wie die musikalische Qualität der Veranstaltung. Sollte es nicht mehr um die Sache an sich geben, weniger um das Drumherum und um vermeintliche Stars?
Ich verwarf diese Gedanken sehr schnell wieder, nahm noch einen Schluck aus meiner Bierflasche und ginge wieder in den „Spanischen Saal“. Der zweite Teil des Konzertes machte mir klar, wie sehr ich die Musik von Domenico Scarlatti doch liebe. Auch die Musiker legten sich noch einmal richtig ins Zeug, gaben nicht eine, sondern gleich mehrere Zugaben. Der Applaus wollte gar nicht enden. Zu Recht? Ich weiß es nicht.
Ich weiß nur, dass ich mit dem Gefühl hinausging, dass es wirklich „sehr schön“ gewesen war. Mehr fiel mir Minuten nach dem Konzert nicht ein. Mehr fällt mir auch jetzt noch nicht ein. Es war auf eine virtuose Art eindrucksvoll gewesen. Möglicherweise gab es über das Konzert auch nicht mehr zu sagen. Möglicherweise fehlte ein wenig die Kontur, das Besondere. Das wiederum wirft die Frage auf, ob zuerst die Gäste dieser Veranstaltung so waren wie sie sind oder ob sie die Musik dazu gemacht hat.
Haben so manche Konzerte in diesem Rahmen aufgehört wirklich interessant zu sein, weil der echte und kritische Diskurs über die gehörte Musik mehr und mehr abbrach und verflachte oder brach dieser Diskurs ab und verflachte, weil es über die Musik nicht mehr zu sagen gab außer dass sie eben „sehr schön“ war?
Ich habe keine Antwort darauf. Ich weiß nur: Es wird für mich nicht das letzte Konzert bei den „Innsbrucker Festwochen der Alten Musik“ gewesen sein. Weil ich diese Konzerte mag! Ob das jetzt mehr über mich oder über die Konzerte aussagt ist mir noch unklar. Möglicherweise bin ich den Gästen und Besuchern solcher Veranstaltungen ähnlicher, als ich es mir eingestehen will. Zum Glück hatte ich schon vorher gegessen, denn mit einer gummiartigen Breze hätte ich auch keine Freude gehabt. Möglicherweise hätte mir das gar den Kunstgenuss verdorben. Und das will ich schließlich am allerwenigsten.
Titelbild: Magnus Manske