Es soll euch besser gehen. Ihr sollt besser vorbereitet sein. Ich war gestern vor meinem Besuch der Premiere von „Il Germanico“ zwar gewarnt, konnte aber nicht ahnen was wirklich auf mich zukam. Höllenqualen waren gar nichts dagegen. Als ich nach 5 Stunden (!!) das Landestheater Innsbruck endlich verlassen konnte war es mir klar: Ich musste darüber sprechen. Etwas darüber schreiben. So etwas durfte jungen oder mittelalten Menschen wie dir oder mir nicht noch einmal passieren. Noch etwas übermüdet und erschöpft vom gestrigen Besuch der Barockoper „Il Germanico“ möchte ich euch ein paar Tipps mit auf den Weg geben. Los geht´s!
Kleidet euch angemessen! Nein, das gute Hemd vom letzten Großeinkauf beim Kleider-Diskont tut es eher nicht. Bei einer Premiere geht es auch darum, sich selbst zu präsentieren. Habt ihr eine Krawatte zuhause? Eine Fliege? Einen schönen Anzug, den ihr schon länger nicht mehr getragen habt? Optimal, denn an einem solchen Abend könnt ihr in Sachen Kleidung endlich mal wieder klotzen statt nur zu kleckern. Zu auffällig und exzentrisch sollte es dann aber auch nicht sein. Eher gediegen, dem besonderen Anlass angemessen. Es ist eine Gratwanderung, die bewältigt werden muss. Probiert es zu Hause vor dem Spiegel aus. Nehmt Haltung an und verhaltet euch dem Anlass entsprechend.
Bewegt euch langsam, aber doch gezielt und geschmeidig durch die Menschenmassen! Seid euch bewusst, dass ihr nur ein kleines Lichtlein in der sogenannten High-Society seid. Es gibt bei den Menschenströmen zum Saal und vor allem zum Buffet eine ganz klare, nicht niedergeschriebene aber doch explizite Hackordnung und Hierarchie. Bemerkt ihr, dass ein Herr, der etwas älter und besser gekleidet als ihr, den Weg zum nächsten Sekt und zur nächsten Breze antritt, dann lasst ihm gefälligst den Vortritt!
Die Sache wird sogar noch virulenter und komplexer, wenn euch Menschen begegnen, die man aus Film, Fernsehen oder Politik kennt. Probiert erst gar nicht diesen Menschen den Vorrang zu nehmen! Leichtes, aber unangenehmes anrempeln würde die Folge sein. Die Bedeutung davon wäre klar: Ihr habt die Hierarchie missachtet, die auf dem Weg zum Essen und zum Trinken in den Pausen von Opern unbedingt und genauestens eingehalten werden muss.
Entwickelt also euren eigenen Style: Bewegt euch zurückhaltend aber doch bestimmt durch die Massen! Beobachtet ganz genau und erkennt die Hierarchien. Verpasst aber nicht, euren eigenen Platz in dieser Hierarchie zu finden und diesen auch einzufordern! Oder wollt ihr euer Leben lang bei solchen Veranstaltungen nur angerempelt werden? Möchtet ihr nicht auch irgendwann einmal in den kurzen Pausen zu einer Breze und zu einem Bier kommen? Na also.
Direkt daran anschließen möchte ich diesen Tipp: Reserviert euch Tische für die Pause! Tut ihr das, könnt ihr den komplexen Weg ans Buffet viel gelassener angehen und könnt euch viel mehr aufs sehen, verstehen und lernen von Hackordnungen und Hierarchien fokussieren. Es ist sogar möglich sich ein Brötchen, eine Breze und natürlich den obligatorischen Sekt auf sein Tischchen stellen zu lassen. Das erleichtert eure Situation enorm. Ihr könnt die Pausen, statt in Warteschlagen zu stehen, mit dem verbringen, wofür sie gedacht waren: Zum Fressen und saufen. Pardon: Essen und trinken.
Generell: Achtet darauf was ihr trinkt! Verweigert niemals (!) das Glas zum Bier, sondern nehmt es dankend an. Versucht euch dann in der Pause richtig zu platzieren und die richtige Haltung einzunehmen. Und nein: Die Bierflasche in der einen Hand und die Breze in der anderen Hand fällt nicht unter richtige Haltung. Sucht euch einen Tisch, stellt euch dazu, probiert ein wenig Smalltalk. Stellt euer Bier ab, esst dezent ein paar Bissen von eurer Breze. Bewahrt Anstand und nehmt bitte auf keinen Fall einen Schluck direkt aus der Bierflasche. Für solche Anlässe hat Gott nämlich die Gläser erschaffen.
Generell trinkt ihr besser Sekt als Bier. Oder war es gestern Champagner? Ich hätte es herausfinden müssen, muss aber mein Versäumnis eingestehen. Eine Sache kann ich euch aber mit auf den Weg geben: Wundert euch bei solchen Events nicht über die Preise. Fragt nicht nach, ob sich die nette Dame beim Sekt-Stand im Freien nicht doch verrechnet oder verredet hat. Zückt ohne mit der Wimper zu zucken eure Geldtaschen und zahlt den Preis für den Sekt. Man sollte euch nicht anmerken, dass ihr eigentlich in Bier rechnet und euch fragt, ob ihr für dieses Geld nicht anderswo zwei Bier hättet trinken können.
Jetzt aber: Ab in die Barockoper! Nur Mut!
Somit habt ihr einige der subtilen gesellschaftlichen Codes intus und seid im besten Fall gut gekleidet, mit der richtigen Einstellung und dem richtigen Getränk bei einer Veranstaltung eurer Wahl. Ich bin mir eigentlich sicher, dass sich meine Tipps auch transferieren lassen. Etwa von einem Besuch einer Barockoper hin zu einem Theaterbesuch. Bis hierhin. Denn jetzt geht es um die Musik selbst, um die Inszenierung, über die ihr ebenfalls ein bisschen was wissen müsst.
Ihr glaubt allen Ernstes, dass nur eine Frau wie eine Frau klingen und singen kann? Dann werdet ihr in Barockopern euer blaues Wunder erlauben. Ihr betretet nämlich die Welt der Countertenöre! Wie das klingt? Nun, wie Männer, die sehr sehr hoch singen. Deren Stimmen klingen in hohen Passagen dann wahlweise weiblich und auch ein wenig kindlich.
Das kann bei Menschen, die das zum ersten Mal hören und nicht so in der Welt der klassischen Musik oder der Barockoper zuhause sind zu ernsthaften Irritationen führen. Ihr wisst jetzt aber zum Glück Bescheid. Das ist wichtig. Denn: Laut loslachen bei hochdramatischen Countertenor-Arien gehört bei solchen Veranstaltungen nicht zum guten Ton und wird mit verächtlichen Blicken quittiert.
Stellt euch außerdem darauf ein, dass in der Barockoper in Sachen Handlung nicht immer ausgefinkelt zugeht. Vieles ist narrativ dann doch eher konventionell und nach der dritten Arie in der die treu Liebende bekundet, dass sie ohne ihren Geliebten bitte sehr auf gar keinen Fall mehr leben möchte fragt ihr euch, ob diese Leute keine anderen Probleme haben.
In der Barockoper geht es sehr gefühlig zu und auf diesen Gefühlen wird sehr lange herumgesungen. Akzeptiert einfach, dass das halt eine andere Zeit war in der Menschen viel – und ich meine sehr viel – Zeit hatten, sich mit ihrer eigenen Gefühlswelt zu beschäftigen. Manchmal war das wohl auch Hauptbeschäftigung, weil die harte Arbeit in adeligen Kreisen keine allzu große Rolle spielte.
Nehmt euch Zeit. Richtig viel Zeit. So eine Barockoper kann lange dauern. Die gestrige dauerte mit Pausen knapp 5 (!!) Stunden. Darauf müsst ihr euch einlassen und Bewusstseins-Strategien zwischen absoluter Wachheit und leichtem Dämmerzustand erarbeiten. Am besten tut ihr das schon vor einem Besuch einer Barockoper. Einen Fehler solltet ihr aber auf keinen Fall machen: Starrt nicht (!!) über mehrere Stunden auf den Text, der über der Bühne auf einer kleinen Tafel eingeblendet wird.
Ich habe es getan und habe jetzt ernsthaft Mühe meinen Kopf schmerzfrei zu bewegen. Macht es besser! Nehmt es in Kauf, dass ihr ein paar Passagen nicht versteht, der Handlung nicht ganz folgen könnt. Euer Körper wird es euch am nächsten Tag danken. Und zum Glück ist die Handlung bei Barockopern, wie oben beschrieben, meist nicht allzu komplex. Vermutlich verpasst ihr nur, dass die Geliebte gerade vor Schmerz und Angst zergeht, weil der Geliebte heldenhaft im Kampf sterben könnte.
Somit ist es offiziell: Ihr seid gerüstet. Ihr müsst nicht die Höllenqualen eines steifen Genicks erleiden, mit denen ich gerade zu kämpfen habe. Ihr wisst jetzt, wie ihr euch richtig verhaltet und richtig kleidet. Ihr geht mit der korrekten Erwartungshaltung und mit ganz viel Zeit und Muße in die nächste Barockoper.
Denn der Punkt ist: Ihr solltet es tun. Unbedingt. Denn der gestrige Abend war vor allem sängerisch grandios! Es wäre schade, wenn ihr euch den Genuss einer solchen Barockoper entgehen lassen würdet. Am 14. und 16.08. hab ihr die Gelegenheit dazu. Ihr seid jetzt dazu bereit, traut euch!
Titelbild: Rupert Larl
Die grausliche Welt sehnt sich nach der Romantik, was bei guten Musicals, aber auch bei der Barockoper nunmehr verstärkt gegeben ist. Und darum haben diese Zeitenwendeaufführungen auch soviel Erfolg, nachdem die Zuschauer die kulissenlose, Straßenkleidungorientierte Schauspiel und Opernentartung ziemlich satt haben. Natürlich wird es immer gehetzt Neuorientierte geben, die dem zeitgemäßen Scheißtheater nachlaufen, aber Feinspitze wenden sich immer mehr den „alten“Werten zu und fahren für gute Barockopern oft ziemlich weit (z.B.Cesky Krumlov Festival) Jeden also das Seine – Geschmack !?!