An manchen Tagen bin ich pessimistisch und fühle mich ohnmächtig. Ich denke an die Pharmaindustrie, Banken, die Waffenlobby, Lebensmittel- und Ölkonzerne: Organisationen, die die Fäden ziehen, die Welt regieren und möglicherweise krumme Dinge drehen, von denen ich nichts verstehe. An anderen Tagen bin ich optimistisch, mein Kopf kehrt zurück ins kleine Innsbruck und ich erinnere mich an einen Spruch, den ich auf den noch bestehenden Resten der Berliner Mauer gesehen habe: „Viele kleine Leute, die in vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern“. Wir sind nicht Nelson Mandela, Mutter Theresa oder Mahatma Gandhi. Wie viel Freude jedoch durch vergleichsweise wenig Aufwand entstehen kann, durfte ich Freitagabend beim Fußballspiel FC Wacker Innsbruck gegen den SC Austria Lustenau miterleben.
Wacker Innsbruck und rund 300 Flüchtlinge, die momentan in einem Stockbettenlager in der Tennishalle am Innsbrucker Paschbergweg untergebracht sind, sind praktisch Nachbarn. So entschied man sich auf Seiten des Vereins, die Männer aus Ländern wie Somalia, Syrien, Afghanistan oder dem Irak, die in Österreich Schutz vor Verfolgung suchen, zum Fußballspiel einzuladen. Jeder kennt die Abseitsregel und alle wissen Bescheid über Elfer und Freistoß. Denn ähnlich wie in der Musik und der Liebe, ist die Sprache des Fußballs bekanntlich universell. Und wie bei den Fußballfans auf der Nordtribüne, die sich die Seele und alles was diese belastet aus dem Leib brüllen, war das Fußballspiel auch für die Flüchtlinge eine willkommene Abwechslung zum Alltag und eine schöne Möglichkeit laut zu sein, zu jubeln und zu lachen.
„Kommt ihr mit zum Fußballspiel?“
Als ich eine Stunde vor Spielbeginn mit einer kleinen Gruppe freiwilliger Begleiter bei der Tennishalle eintreffe, herrscht dort reges Treiben. Die Männer essen, beten, ziehen sich um, sind am Weg zur Dusche. Die Türen zur Halle stehen offen, wir betreten den schummrig beleuchteten Saal und laden alle ein, mitzukommen. Ich fühle mich ein wenig beklommen, in die wenige Privatsphäre, die die Bewohner der Halle haben, ohne zu Zögern einzudringen. Dennoch habe ich den Eindruck, wir verbreiten gute Laune. Jeder versteht das Wort „Fußball“ und so sind wir bald eine große Gruppe an Menschen am Weg zum Stadion. Man verständigt sich auf Deutsch, auf Englisch, mit Zeichen und Gesten. Die Leute wissen untereinander wer welche Sprachen kann, wer für wen übersetzt. Ich führe ein interessantes Gespräch mit einem Mann aus dem Irak, der bei einer deutschen Firma arbeitete und deshalb fließend Deutsch spricht. Hinter mir rufen Manche schon vorsichtig „Olé, Olé, Olé“. Die Stimmung ist gut, die ersten Selfies finden ihren Weg ins Netz.
Die Männer sind aufgeregt und freuen sich auf das Spiel. Spätestens beim Betreten der Osttribüne kennen alle die Wörter „grün“ und „schwarz“. Man erklärt einander gegenseitig: „wir spielen in der ersten Halbzeit von links nach rechts“. Das Spiel beginnt und die Männer lassen sich von der Stimmung auf der Nordtribüne anstecken. Flink herausgespielte Ecken werden beklatscht, als in der 30. Minute das 1:0 fällt springen alle auf, fallen einander in die Arme und jubeln. Die Araber rufen „Yalla, Yalla“, die Fans auf der Nordtribüne singen „FC Wacker Allez“, wieder Andere brüllen „Gemma Burschen“. Man ist sich also einig. Dass laute Pfiffe am Tivoli kein Ausdruck der Begeisterung sind, sondern eigentlich das Gegenteil bedeuten, werden die neu gewonnen Fans auch noch lernen.
Zustimmung von allen Seiten
In meinem Kopf entsteht ein schönes Bild: die Institution FC Wacker Innsbruck lädt 300 Asylwerber ein, diese genießen die lustige Atmosphäre am Tivoli, freuen sich über ihren Ausflug. Als die Fans auf der Nordtribüne dann ein Spruchband mit „Refugees Welcome“ aufhängen, zeigt sich, dass die Idee nicht nur von offizieller Seite willkommen geheißen wird, sondern auch von den Fans. Am Schluss klatschen die Spieler mit den Flüchtlingen ein, Florian Jamnig verschenkt sein Trikot. An manchen Tagen bin ich optimistisch und letzten Freitag war so ein Tag.
Während Politiker alles unternehmen, um sich ihren Platz im Nationalrat zu sichern, die österreichische braune Suppe anrühren und zum Brodeln bringen, Angst schüren und sich auf die niedrigsten Instinkte wie Ablehnung und Neid verlassen, gibt es dennoch Menschen mit Eigeninitiative, Zivilcourage, Mitleid und Tatendrang. Es gibt viele, viele Menschen die Gutes tun. Da ist Judith in Reith, die mit einer Hand voll Flüchtlingen einen Chor gründet, Luise im Wipptal, die ein paar Syrer zum Mittagessen einlädt, Barbara, die eine junge Familie mit Babykleidung ausstattet, Tessa die ein Mal pro Woche mit einer jungen Syrerin Deutsch übt, der Wacker Innsbruck, der seine Nachbarn zum Fußballspiel einlädt. Es passiert viel und das ist gut so.
Denn: es werden Menschen kommen. Menschen, die um ihr Leben und das Leben ihrer Familie bangen müssen, sind mit einem Lebenswillen ausgestattet, der sie nicht zurückschrecken lässt, haben sie sich einmal auf den Weg gemacht. Es geht hier um junge Leute, die von einem Leben jenseits zertrümmerter Häuser, jenseits von Todesangst träumen. Diese Menschen werden sich in Österreich ansiedeln, Kinder bekommen, die Kinder werden sich mit euren Kindern anfreunden, mit ihnen spielen, sich in sie verlieben. In Innsbruck wird es arabische Geschäfte geben und somalische Fußballfans auf den Tribünen am Tivoli. Ihr könnt Zäune bauen und Armeen aufmarschieren lassen, aber aufhalten, könnt ihr solche Menschen dadurch nicht.