Es ist Dienstag, kurz nach 15:00. Erwan Borek, den ich nun schon bei einigen, sehr unterschiedlichen Konzerten erlebt und gehört habe, kommt gerade aus Wien. Wir treffen uns in einem Innsbrucker Café. Ich kenne ihn vor allem als brillanten Pianisten, bei dem die Einflüsse von Keith Jarrett zwar hörbar sind, der aber doch schon eine ganz eigene „Stimme“ gefunden und entwickelt hat. Kürzlich hat er mich mit zwei Kompositionen verblüfft, die von erstaunlicher Reife und Originalität sind.
Erwan Borek wurde 1996 geboren und ist für mich dennoch bereits einer der interessantesten Musiker, die Tirol derzeit zu bieten hat. Grund genug ihn zu treffen und zum ausführlichen Gespräch zu bitten.
Kannst du mir zu Beginn bitte kurz etwas über deine musikalische Entwicklung sagen? Von damals bis heute!
Es hat alles schon sehr früh begonnen. Ich bin in einer sehr musikalischen Familie aufgewachsen. Sowohl mein Vater (Michael Borek, Anm. MS) als auch meine Mutter sind Musiker. Ich bin daher schon als Kleinkind mit Musik in Kontakt gekommen. Ich habe mit 6 Jahren angefangen Gitarre zu spielen. Mit 7 Jahren bin ich in die Musikschule gekommen.
Mit 8 Jahren habe ich dann mit meinem Vater ein wenig Klavier spielen gelernt. Klavierspielen habe ich mir dann aber eher autodidaktisch beigebracht. Mit 13 bin ich im Konservatorium bei Stephan Costa am Klavier und bei Stefan Hackl an der Gitarre aufgenommen worden. Da hat das Musikgymnasium angefangen. Dort war ich jetzt 5 Jahre. Und jetzt sitzen wir hier.
Mich interessiert ja vor allem deine immense musikalische Bandbreite. Ich habe dich schon als Interpreten gehört, kenne dich als Komponisten. Es wirkt so, als wärst du in ganz vielen musikalischen Kontexten unterwegs. Wie geht das zusammen?
Ich habe das von meinem Vater, der ebenfalls sehr breite, vielfältige musikalische Vorlieben hat. Es war außerdem auch beim Musik-Gymnasium so. Da war jeder Musikstil vorhanden. Es gab Oberkrainer-Gruppen, Jazz-Gruppen, es gab Barockmusik und „Alte Musik“.
Ich persönlich habe schon sehr früh viel Jazz gehört, die ganzen berühmten Jazz-Pianisten. Aber auch Cello-Konzerte und alle möglichen klassischen Konzerte waren und sind mir wichtig. Mich interessiert so gut wie alles. Auch Pop, Rock und sogenannte „Neue Musik“. Ich bin wirklich für alles offen!
Gibt es einen „roten Faden“ in deinem Schaffen? Schwebt dir eine Art „Gesamtkunstwerk“ vor, in dem sich all diese Einflüsse treffen und vereinen? Soll heißen: Die große Komposition, bei der das alles auf einen Nenner gebracht wird. Oder sind das alles Bausteine auf deinem Weg, die getrennt existieren?
Beides. Bei meinen Kompositionen fällt mir im Nachhinein oft auf, dass man gewisse Einflüsse heraushört, die aus einer Vielzahl von Stilen kommen. Das kann Rock/Pop sein, „Alte Musik“ oder natürlich auch „Neue Musik“. Es ist aber andererseits auch so, dass ich alle Richtungen einzeln höre.
Wie würdest du dein aktuelles Komponist-Sein beschreiben? Wie die Entwicklung bis heute? Wie würdest du dich gerne noch entwickeln?
Das Komponist-Sein hat sich eigentlich erst vor kurzem entwickelt. Dann aber dafür recht schnell. Ich habe seit circa 1,5 Jahren großes Interesse am komponieren! Begonnen hat es mit einem Chorstück für den Kammerchor des Musikgymnasiums Innsbruck (siehe obiges Video, Anm. MS). Das war eine Gedichtvertonung. Das Ziel war damals auch schon etwas Neues zu schaffen, weniger wie bei einem alten Kirchchor. Es finden sich dort vor allem Einflüsse von György Ligeti. Dann gab es abermals eine Gedichtvertonung. Dieses Mal von einem Gedicht von Georg Trakl.
Trakls Gedichte sind ja bekanntlich sehr düster und mysteriös. Ich habe versucht das auch in die Musik einzubauen. Aus dem Gedicht heraus hat sich der Stil der Komposition entwickelt. Dieses Mystische, Moderne, Schräge. Das ist auch, was ich weiter machen möchte. Neue Musik!
Kannst du kurz das Verhältnis von Musik und Text beschreiben? Ist das bei dir „nur“ emotional und intuitiv? Gibt es auch Bezüge zum Klang der Sprache und von Worten?
Auf jeden Fall! Ich mag Lyrik sehr gerne und lese grundsätzlich viel. Mich interessiert es den Rhythmus der Sprache in die Musik zu holen. Der Rhythmus von Gedichten muss richtig in die Komposition eingebaut werden – ansonsten geht vieles verloren und es lässt sich nicht richtig singen. Vor allem beim Werk, das auf dem Trakl-Gedicht basiert, habe ich das versucht. Es gibt viele Facetten, zum Beispiel schreien, flüstern. Das macht das Werk breiter und verändert viel.
Was mich auch interessiert: Du gehst ja bald weg, nach Linz. Wie würdest du dich als Musiker im Tiroler und Innsbrucker Kontext beschreiben? Ist dir Tirol als Komponist und Musiker wichtig? Oder ist es doch etwas, das du hinter dir lassen möchtest?
Es gibt natürlich Tiroler Größen, die wichtig für mich sind, zum Beispiel Werner Pirchner. Ansonsten verbinde ich natürlich vor allem mit Innsbruck sehr viel. Meine ganze musikalische Vergangenheit der letzten fünf Jahre, Konservatorium und Musik-Gymnasium, hat sich hier abgespielt. Ich werde immer eine Verbindung zu Tirol und zu Innsbruck haben. Als Komponist möchte ich mich von Tirol und Innsbruck aber trennen. Linz ist bekannt für „Neue Musik“, dafür eine sehr moderne Stadt mit guten Fördermöglichkeiten zu sein.
Ist Linz dabei nur eine Zwischenstation für dich? Sprich: Dann doch eher Berlin, Köln oder in eine andere Stadt?
Ich denke schon. Linz wird vermutlich eine Zwischenstation für mein Bachelor-Studium sein. Möglicherweise schließe ich dort auch noch mein Master-Studium an. Natürlich wäre auch Wien eine interessante Option. An sich zieht es mich aber schon in größere Städte. Paris und London wären tolle und mögliche Ziele.
Empfindest du die „Provinz“ als einengend?
Ich würde nicht sagen, dass mich die „Provinz“ einengt. Ich habe auch hier viele Ideen gehabt und einiges an Inspiration gefunden! Aber man sollte doch auch weiter hinausziehen. Ich will mehr sehen und erleben. Neue Einflüsse entdecken, auf neue Ideen kommen!
Interessant ist ja auch, dass es die meisten „westlichen“ Komponisten und Musiker „nur“ in westliche Städte zieht. Interessiert dich auch der „Ferne Osten“ oder vergleichbare Kulturräume? Lassen sich da nicht noch ganze andere Ideen in die eigene Musik hereinholen?
Ja. Man kann ja nicht nur vom CD-Hören weltoffen sein und weltoffen werden. Bei uns im Musikgymnasium gab es zum Beispiel sehr viele Musiker, die sich für indische Musik interessierten und selbst auch Sitar gespielt haben. Ich bin auch von indischer Musik beeinflusst. Wir haben uns außerdem zum Beispiel mit der Peking-Oper beschäftigt oder mit chinesischer Musik generell. Es ist unglaublich, welche Unterschiede es da gibt! Ich möchte darüber hinaus auch osteuropäische Einflüsse in meine Musik einarbeiten.
Man muss also rausgehen aus Tirol, sich viel anhören, viel erleben, viel erfahren. Spielt reisen für dich als Musiker eine Rolle?
Ja. Ich bin immer gerne und viel gereist und will auch weiterhin viel reisen. Das ist mir wichtig. Auch wenn man sich als Musiker gar nicht mit der Musik vor Ort beschäftigt, sondern mit den Leuten. Man lernt neue Einflüsse kennen, die sich dann später beim Komponieren und Musizieren widerspiegeln.
Kann man sagen, dass reisen verunsichert und dich als Musiker und Mensch positiv irritiert?
Ja. Viele versuchen ja auch politische Einflüsse einzubauen. Opern haben immer auch aktuelle Themen aufgegriffen. Beim Komponieren kann man sich an sehr vielen Orten und aus sehr vielen Kontexten Ideen und Inspiration holen.
Nimmst du auch politisch Bezug und beziehst Stellung in deinen Kompositionen?
Politische Einflüsse gibt es bei mir im Moment nicht wirklich. Ich habe andere Einflüsse, wie zum Beispiel Texte oder andere Musiker, die mich inspirieren.
Ich behaupte, dass deine Musik dennoch „politisch“ ist. Sie entwirft eine Utopie der Offenheit!
Ja, das ist durchaus möglich!
Zum Abschluss noch die obligatorische Frage: Was passiert die nächsten Monaten bei dir?
Am 16.09. liest Bernhard Aichner im Treibhaus. Dort wird mit dem Kammerchor mein Chorwerk „Zerfall“ aufgeführt. Ende Oktober wird es zwei Konzerte im Rahmen von „Jeunesse-Innsbruck“ geben. Einmal im Vierundeinzig und einmal im „Komma“. Da wird ein Konzert von mir uraufgeführt, ein Konzert für Jazz-Trio und Streichorchester. Anfang Oktober ist außerdem meine Aufnahmeprüfung an Bruckner-Uni in Linz.
Lieber Erwan, danke für deine Zeit!
Titelbild: www.erwanborek.at