Muss man sich im Moment vor der Volksmusik fürchten? Der aufmerksame Flaneur entdeckt im Moment in Innsbruck jedenfalls Plakate auf denen groß „Volksmusik erobert die Stadt“ zu lesen ist. Grund genug sich mit Peter Margreiter, dem Obmann des „Tiroler Volksmusikvereins“, zu treffen und ihn zu fragen, welche Intention hinter „Aufg´horcht in Innsbruck“ steht. Im Interview erzählt er außerdem unter anderem davon, welche „Form“ besonders gut zur Volksmusik passt und warum es „authentische Volksmusik“ nach wie vor braucht.
Kannst du mir zu Beginn bitte kurz die Intention hinter „Aufg´horcht“ skizzieren – für einen Laien wie mich?
Das Konzept ist durch den „Alpenländischen Volksmusikwettbewerb“ entstanden. Im Rahmen dieses Wettbewerbes kamen und kommen immer wieder Talente aus dem ganzen Alpenraum nach Innsbruck. Zum Wettbewerb hinzu wollten wir ein Podium schaffen, bei dem sich die Musikerinnen und Musiker in einem wettbewerbsfreien Raum musikalisch begegnen können. Was könnte da besser passen als die Innsbrucker Altstadt?
Eine andere Intention ist es natürlich, der besonderen Rolle Tirols im Alpenraum gerecht zu werden. In Tirol gibt es auch viele kontroverse Themen wenn es um Volksmusik geht. Vor allem auch in Bezug auf die Wirtschaft und den Tourismus. Denn natürlich gibt es in Tirol auch diese „Touristenmusik“.
Diese Musik hat dann einfach eine andere Funktion. Sie steht im Dienste der „Folklore.“ Diese Musik ist „inszeniert-authentisch“, also eigentlich „unecht“.
Folklore ist für mich nicht negativ behaftet. Wie du richtig sagst ist das Problem aber die „inszeniert-authentische“ Musik. Da geht es halt um die klassische Schuhplattler-Gruppe bei einem Heimatabend, inklusive Holzhacker-Marsch.
Damit wird auch ein ganz bestimmtes Bild von Tirol nach außen getragen.
Richtig. Genau dieses Bild haben viele Leute von Tirol. Wir als „Tiroler Volksmusikverein“ möchten aber auch zeigen, dass Tirol eine authentische, große Geschichte hat. Wir sind für viele Musikanten ein Vorbild. Deswegen ist es wichtig, dass zum Beispiel neben dem„Blues“ und neben der „Alten Musik“, neben dem „Tanzsommer“ und einigem mehr auch die Volksmusik in der Stadt eine fixe Größe ist. Zumindest sollte sie aber 1-2 Tage im Jahr haben, an denen sie ein deutliches Lebenszeichen von sich gibt.
Mir gefällt ja der Slogan „Volksmusik erobert die Stadt“ sehr gut. Ist das auch kämpferisch gemeint? Geht es auch darum, einen Raum „zurückzuerobern“?
Die „Touristen-Musik“ funktioniert natürlich sehr gut auf der kommerziellen Ebene. Bei der traditionellen Volksmusik ist das anders. Sie kommt ja, geschichtlich gesehen, aus der Bauernstube heraus. Früher amüsierten sich die Leute mehr zuhause und gingen weniger ins Gasthaus. Da wurde kurzerhand die Stuben-Türe ausgehängt. Die Musikanten haben auf der Stiege gespielt und am Hausgang wurde getanzt. Die Volksmusik kommt aus dieser „kleinen Form“ heraus. Volksmusik funktioniert nicht gut mit großen Verstärkern oder Playback-Einspielungen. Volksmusik sollte natürlich sein.
„Das Wirtshaus ist die Hochschule der Volksmusik!“
Ist es so, dass Volksmusik im urbanen Raum ganz „organisch“ und authentisch passieren sollte? Eben nicht inszeniert? Volksmusik trifft Alltag.
Ja. Es können vor allem auch Leute zusammenspielen, die noch nie miteinander gespielt haben. Die Volksmusik lässt sich da durchaus mit Blues oder einfachen Formen des Jazz vergleichen. Das ist natürlich bei der „Touristenmusik“ ganz anders. Da braucht es viel Inszenierung und große Bühnen. Von daher geht es durchaus um die Zurück-Eroberung von Raum für die authentische Volksmusik.
Ich weiß nicht genau, wann diese Verdrängung eingesetzt hat. Meiner Meinung nach ist es aber mit dem Tourismus einhergegangen. Am Anfang war die Volksmusik, dann wurde diese mit Schlager vermischt. Wenn ich im Heute zum Beispiel mit der „Steirischen“ ein Beatles-Lied spiele, dann denke ich mir nicht, dass ich „Neue Volksmusik“ erfunden habe. Aber ich mache das durchaus gerne.
Stimmt. Man kann sich ja auch nicht verschließen. Dennoch kann man versuchen, vom „Banalen“ und „Seichten“ der volkstümlichen Musik hin zu etwas Tiefgehenden zu gelangen.
Sobald man etwas unter die Käseglocke stellt ist die Gefahr groß, dass es stirbt. Unser Ansatz ist es, die Musik unter die Leute zu bringen. Wir lassen sie passieren. Es wäre aber gefährlich zu sagen, dass es automatisch tiefgründiger wird, wenn ich experimentiere und einen Beatles-Song mit Volksmusikinstrumenten spiele. Das glaube ich nicht. Wenn man im Heute zum Beispiel drei 50-jährige Frauen auf der Alm trifft und diese singen einen dreistimmigen Jodler, dann hat das zum Beispiel Tiefgang. Dann berührt mich das.
Die Strömungen im Heute, dass viel mit anderen Musikrichtungen experimentiert wird ist aber ebenfalls ganz normal. Was davon wirklich übrig bleibt, wird sich herausstellen, das wissen wir im Heute noch nicht.
Die Basis ist doch immer die Musikalität. Gute Musiker sind in der Tradition verwurzelt, zugleich aber auch im Heute. Ein guter Musiker kann sich auch heutiges Material erarbeiten und dieses sinnvoll integrieren.
Ja. Ein gutes Beispiel ist zum Beispiel „Harfonie“. Die waren jahrelang bei unseren Fortbildungen dabei und sind es immer noch. Die beiden haben 100 % volksmusikalische Wurzeln. Natürlich haben sie aber durch ihre Kreativität und Musikalität viele andere Sachen gemacht. Jetzt mischen sie das.
Die Gefahr ist doch grundsätzlich, dass viele immer glauben, dass das „Neue“ besser als das „Alte“ ist. Wenn ich das „Alte“ kenne, dann kann ich aber abwiegen und mich fragen: Hat das „Neue“ Niveau und Substanz oder nicht?
Ich vertraue darauf, dass das „Volk“ und der Musikkonsument das erkennt. Vielleicht erkennt das nicht zwingend der Mainstream. Aber viele tun das durchaus. Als Musikant und Gruppe baut man sich dann einfach seine „Fan-Gemeinde“ und Hörerschaft auf, die das zu schätzen weiß. Gute Musik passiert oftmals im kleinen Kreis und nicht als Event. Bei der Volksmusik geht es auch ums miteinander spielen, wenn man so will auch ums „Jammen“.
Wenn du „jammen“ sagst, dann muss ich ganz direkt und blöd fragen: Welche Rolle spielte eigentlich die Improvisation in der Volksmusik?
Sie spielte eine große Rolle. Natürlich hängt das auch von der Kreativität der beteiligten Musiker ab. Stell dir aber zum Beispiel vor, wir spielen mit hundert Leuten bei der Annasäule in Innsbruck. Dort gibt es eine Melodie, vergleichbar mit einem Blues, die acht Takte hat. Von hundert Musikern spielen zum Beispiel 20 die Hauptmelodie, einige probieren die zweite Stimme dazu zu spielen und der Rest macht die Begleitung.
Wer ein guter Volksmusikant werden will, muss spielen. Das ist sehr ähnlich wie im Jazz. Natürlich kann man zuhause im stillen Kämmerchen sitzen und Improvisationen üben. Aber wenn man nicht auf die Bühne oder ins Gasthaus geht und spielt, wird man auch nicht gut werden. Das Wirtshaus ist die Hochschule der Volksmusik!
„Natürlich gibt es in Tirol auch ´Touristenmusik´“
Was passiert eigentlich, wenn Volksmusik auf den urbanen Raum und auf die heutige Zeit trifft? Verändert sie sich?
Gute Frage. Was aber vor hundert Jahren zum Beispiel noch anders war, das waren die Texte. Die Menschen durfte ja nichts gegen die Obrigkeiten sagen. Darum haben sie das ganz geschickt in Texte verpackt. Heutzutage darf ja jeder alles sagen. Deshalb haben viele Volkslieder an Schärfe verloren. Und damit kommen wir auch wieder zur „Touristenmusik“, die ja lediglich „good news“ liefert.
In der „Touristenmusik“ wurde die Volksmusik auf das schöne und unterhaltende reduziert.
Ja. Und das ist glaube ich zu wenig.
Würdest du das „Politische“ und Kontroverse in der Volksmusik gerne wiederbeleben?
Als Obmann des Tiroler Volksmusikvereins würde ich mir wünschen, dass die Texte sich ein wenig mehr mit dem Zeitgeschehen auseinandersetzen. Als Privatmann ist es mir auch wichtig, dass ich mit meinen musikalischen Projekten Tagesgeschehen aufgreife. Wenn ich eine Gstanzl-Strophe über einen Politiker (Name der Redaktion bekannt, Anm. MS) singe, dann ist das natürlich für die ZuhörerInnen interessant. Und ich selbst habe auch ein gutes Gefühl dabei (lacht).
Gibt es generell eine Rückbesinnung auf Traditionen und auf Volksmusik? Sozusagen als Gegentrend zur nivellierenden Globalisierung?
Wenn man sich das über einen längeren Zeitraum anschaut, dann ist das wie ein Pendel. Im Moment schlägt dieses „Volksmusik-Pendel“ durchaus mehr in diese Richtung aus.
Ich finde das spannend: Heutzutage haben wir ja Zugriff auf ganz viel verschiedene Musik, dank dem Internet. Das ist natürlich positiv. Auf der anderen Seite müssen wir schauen, wie wir mit unseren Wurzeln umgehen.
Ja. Ein gutes Beispiel ist der Blues, der in den USA so klingt. Auch bei uns in Tirol gibt es Blues Musiker, die sich in den USA behaupten könnten. Die Volksmusik ist aber regionaler. Früher hat man zum Beispiel, wenn man einen Akkordeon-Spieler aus Tirol gehört hat, genau sagen können, woher genau aus dem Oberland dieser kommt.
Heute geht diese Regionalität ein wenig verloren. Diese ist uns natürlich sehr wichtig! Es geht uns auch um den Erhalt bzw. darum, das wieder mehr in den Vordergrund zu rücken. Es geht um die Nuancen, die sonst vergessen werden. Es ist ein Kampf gegen den Einheitsbrei. Dieser ist noch nicht da. Aber wenn wir nicht aufpassen, dann haben wir diesen in 50 Jahren.
Natürlich sind wir aber nicht die „Volksmusik-Polizei“. Wir können aber Sachen unterstützen, die wir wichtig finden. Außerdem können wir natürlich Fortbildungen organisieren – und Menschen ein Podium und eine Bühne bieten.
Peter, danke für das Gespräch!
Titelbild: Tiroler Volksmusikverein
höchst interessantes interview. peter bringt den volksmusikverein wirklich auf trab. und das ist gut so.
Der Einheitsbrei in der Volksmusik kommt nicht erst in 50 Jahren, geschätzter Peter M.
Natürlich neben der authentischen, aber er ist allgegenwärtig.
Grund dafür sind Musikschulen, an denen Lehrer nach einem Einheitslehrplan unterrichten und Seminare, an denen Lehrer aus dem gesamten Bundesgebiet, Schüler aus dem gesamten Bundesgebiet unterrichten. Als klassisches Beispiel nenne ich den Mondscheinigen von Klaus Karl, den man vom Burgenland bis Bayern hören kann, oder den Marsch der Steirer, der einem im gesamten Alpenraum begegnet, ebenso wie das Rehragout und und und…
Diese Liste ließe sich beliebig lang fortsetzen.
Erschwerend kommt für mich hinzu, dass auch die Darbietung dieser und vieler anderer Stückl sehr oft monoton gleich klingt, egal, wo man es hört.
Musikantenstammtische klingen sehr oft gleich, egal, wo sie stattfinden…
Ich finde es sehr schade, dass die Volksmusik den „Studierten“ zur Weitergabe anvertraut wird und bald wird man Dialekt an der Hochschule für Germanistik studieren können und sich wundern, dass er sich im gesamten Alpenraum gleich anhört, sage ich mit einem kleinen Augenzwinkern und einer dennoch begründeten Sorge.
Liebe Grüsse
Gerhard
Lieber Gerhard, da hast du nicht ganz unrecht. Aber ich habe ja im Interview gerade angesprochen, dass die Regionalität in der Volksmusik Gefahr läuft verloren zu gehen. Deshalb hat sich ja beispielsweise der Alpenl. Volksmusikwettbewerb in Innsbruck gegründet und etabliert, weil dort ausschreibungsgemäß regionale Volksmusikstücke von den Teilnehmern gefordert werden. So muss sich jede teilnehmende Gruppe wohl oder übel Gedanken über die Musik in der eigenen Region machen. Und ein Gedankenantstoss ist manchmal schon die halbe Miete.
Es wird uns zwar nicht mehr gelingen verlorengegangene, kleine, gebiestweise Unterschiede wiederzubeleben, aber zumindest sollte man z.B. das „Tirolerische“ vom „Kärntnerischen“ schon unterscheiden können. Dafür stehe ich.
Beliebte Volksmusikstücke, die von Musikant zu Musikant weitergegeben werden hat es immer schon gegeben. Dagegen ist nichts einzuwenden – das passiert sowieso. Für mich ist lediglich die Frage entscheident ob der Interpret es eins zu eins nachkopiert, oder versucht das Stück in seiner eigenen Musizierart, bzw. im typischen Musizierstil seiner Regionzu wiederzugeben.
Zum Punkt Referenten muss ich dir beipflichten. Aber es liegt halt in der Natur, dass Musikanten gern unterwergs sind und so reisen manche von einem Seminar zu anderen. Ich habe allerdings bei unserer Musizierwoche in Rotholz auch feststellen können, dass erfahrene Referenten sehr wohl behutsam und gewissenhaft mit der typischen Musizier- und Singart der jeweiligen Region umgehen können. Immer nur in der eigenen Suppe zu kochen, kann auf Dauer auch negative Erscheinungen mit sich ziehen.
Hoffe dir meine Ansichten hiermit noch ein bisschen näher erläutert zu haben.
BG,Peter
Ich kann ja nur von Volksliedern reden, aber da fängt es schon an, das man von Regionalität nicht mehr sprechen kann. Ich bin aus dem unteren Unterinntal und singe wo esgeht auch unsere Lieder. Leider sind die alten Volkslieder aus unserer Gegend teilweise schon nicht mehr zum singen, da der Großteil der Bevölkerung nichts mehr verstehen würde, da sich auch unser Dialekt in den Letzten 200 Jahren sehr Geändert hat. Man probiert die Texte so umzuarbeiten das sie verstanden werden, und auch auf der Bühne gesungen werden können. Da das nicht immerfunktioniert weicht man auf andere Lieder aus der näherenUmgebung