Es gibt Konzerte, die man ratlos verlässt. Tendenziell zwar begeistert. Aber unfähig darüber wirklich zu schreiben. Einzelne Begriffe schwirren einem durch den Kopf. Man bekommt sie aber nicht zu fassen und schafft es erst recht nicht, sie konkret auf das erlebte Konzert zu beziehen.
Das Konzert der „Akademie St. Blasius“ am Samstag im „Vierundeinzig“ war ein solches Konzert. Im Mittelpunkt stand dabei die junge Gitarristin und Solistin des Abends Stella Maria Schletterer, die sich zusammen mit dem Orchester an ein Stück von Manuel Maria Ponce wagte.
Im Vorfeld wurde viel über die derzeit in Wien studierende Musikerin gesagt. Virtuos sei sie. Außergewöhnlich. Talent hätte sie. Das alles stimmt zweifellos.
Vor allem aber der Begriff des Talents ließ mich nachdenken. Talent begegnet einem schließlich anscheinend an vielen Orten. Womöglich an zu vielen Orten.
Bei Casting-Shows ist das Talent die Währung, mit Hilfe derer Kandidaten sich den Weg von Sendung zu Sendung bahnen können. Talent wird hier aber mit Aufmerksamkeit verwechselt. Derjenige oder diejenige, der oder die am meisten Aufmerksamkeit erzeugen kann, ist automatisch auch das größte Talent. Musikimmanente Kriterien spielen dabei kaum mehr eine Rolle.
Der Kandidat mit der eindrucksvollsten Stimme gewinnt. Derjenige, der Zuschauer zu Tränen rührt. Derjenige, der mit dem größten Effekt und mit der größten Überraschung aufwarten kann. Eben der, der Aufmerksamkeit erzeugt. Das sind dann die Momente, in denen die Zuschauer mit Tränen in den Augen aufstehen und klatschen, was das Zeug hält.
Wer im Vorfeld möglichst gut die allerhöchsten Töne getroffen hat, der hat ebenfalls schon einiges von den Mechanismen verstanden. Es geht um Leistung, die messbar ist. Talent hingegen ist nur schwer zu messen. Talent ist gerade das, das sich einfachen Kategorien wie Aufmerksamkeit, Leistung und Wirkung entzieht.
Stella Maria Schletterer: Die talentierte, junge Gitarristin im Spannungsverhältnis von Talent und Wirkung
Stella Maria Schletterer ist jung. Talentiert. Ihr Spiel ist eindrucksvoll. Selbstverständlich an diesem Abend fehlerfrei. Auch ihre eigene Persönlichkeit war in ihrem Spiel schon deutlich zu hören. Sie schafft es, sich die Anstrengung der Interpretation des komplexen Stückes nicht anmerken zu lassen.
Manchmal bewegt sie sich leicht im Takt der Musik. Genießt. Lehnt sich zurück. Nur um dann wieder vollständig und überaus präsent in die Musik einzusteigen und diese dezent zu dominieren.
Der Klang ihrer akustischen Gitarre irritiert zuerst ein wenig. Die Verstärkung ist nicht optimal, Orchester und Gitarre finden anfangs zumindest klanglich nicht zusammen. Ihr Spiel gleicht diesen kleinen Makel gekonnt aus.
Eine Frage ist für mich während des Stückes von Ponce allerdings virulent. Wie würde sie es spielen, wenn sie nicht erst Mitte 20 wäre, sondern Mitte 40? Glenn Gould kommt mir in den Sinn, der über seine frühe Einspielung der „Goldberg-Variationen“ sagte, dass sie ihm zu pianistisch gewesen sei.
Gemeint hatte er damit wohl, dass er sie mit zu großer jugendlicher Leidenschaft angegangen sei und dass er seine Virtuosität zu sehr ausgestellt hatte. In seiner späten Einspielung desselben Werkes spielt er das Stück wesentlich langsamer, durchdringt und durchleuchtet aber dafür quasi jeden Ton. Er hat jeden Ton verinnerlicht, lässt jeden Ton „Sein“.
Seine späte Einspielung ist das Ergebnis einer Beschäftigung, die ein ganzes Leben gedauert hat. Das Werk hatte Zeit zu wirken, sich zu setzen, nachzuwirken und sich zu verändern. Seine Interpretation ist nach wie vor subjektiv und wagemutig. Aber nicht mehr hastig, übereilt, ungestüm.
Andererseits empfinde ich im Moment das Spiel von Daniil Trifonov als spektakulär. Weil er offenbar beides verbindet. Er durchdringt das Werk, die vom ihm interpretierten Kompositionen. Mit ungestümer Leidenschaft, mit „jugendlichem“ Eifer geht er jeder Nuance und jeder Feinheit nach. Er stellt sich nicht in den Mittelpunkt, nimmt sich aber seine Freiheiten. Seine Interpretationen sind eigen, aber nicht beliebig. Sie sind respektvoll, aber an den richtigen Stellen radikal und radikal neu gedacht.
Diese Überlegungen, die mir bereits im Konzert zufielen, sind vielleicht anmaßend. Unfair. Kann man wirklich eine junge, talentierte Musikerin mit diesen beiden Musikern vergleichen, die Musikgeschichte geschrieben haben bzw. im Fall von Trifonov gerade schreiben? Ich denke man kann es. Nicht im Sinn einer wie auch immer gearteten „Leistung“ oder Qualität. Aber im Sinne des Spannungsverhältnisses, in dem sich auch Stella Maria Schletterer an diesem Abend befand.
„Jugendlicher“ Leichtsinn, Virtuosität, Effekt, Wirkung? Oder doch „weise“ Zurückhaltung, Durchdringung der einzelnen Noten und Passagen? Ich kann das Spiel von Stella Maria Schletterer noch nicht genau einschätzen. Aber es beeindruckt. Die anwesenden Gäste, mich inkludiert, waren begeistert.
Wie genau sich ihr Talent wirklich äußert, werden zukünftige Konzerte zeigen. Eine überzeugende Talentprobe legte sie aber an diesem Abende allemal ab. Ihr Spiel hat eine erstaunliche Reife. Und möglicherweise kann man es, vorerst, mit Hilfe meines hier etablierten Spannungsverhältnisses vorläufig ein wenig verorten und beschreiben. Ein wenig sprachlos und ratlos bin ich aber immer noch.