Leserkommentar von Harald Stoiber
„Ich verstehe dich nicht. Woher kommst du?“
„Aus Tirol.“
Sprache ist etwas Tolles. Nicht nur, dass Sprache ein Zeugnis von Schichtzugehörigkeit, Identität sowie kultureller Inklusion ist, schafft sie Verständigungs- und Debattiermöglichkeiten. Das Abarbeiten an Themen und das Ausverhandeln von Werten passiert in Wort und Schrift, wodurch wir ohne sprachliche Kompetenz am Diskurs nicht teilhaben können, den Anschluss am öffentlichen Leben zumindest teilweise verlieren, marginalisiert und an den Rand gedrängt werden. Gesellschaftlich, arbeitsmarktpolitisch und existentiell. Natürlich in Abstufungen und mit Strategien der Überwindung und Verschleierung ausgestattet. Aber so wie jedes kommunikative Potential unterschiedlich ist, so sind auch die Auswirkungen von Person zu Person, von Peergroup zu Peergroup verschieden.
Leider setzen wir seit geraumer Zeit die falschen Prioritäten. Vor allem in den letzten Monaten ist die Kopflosigkeit in diesem Diskurs ersichtlich geworden. Sprache ist aufgeladen. Politik, Werte, Zeitgeist und Macht werden durch sie ausgedrückt und ersichtlich. Auch regionales Bewusstsein, Diversitätsfragen wie Alter, Geschlecht und Herkunft finden sich in unserer Ausdrucksweise. Diese Punkte können nicht ausgeklammert werden, finden durchwegs statt und helfen bei der Identitätsfeststellung. Sie helfen bei der Suche nach einem Innen und Außen. Einem Dabei sein und einem bitte draußen bleiben. Der/die DurchschnittsösterreicherIn definiert sich in Ablehnung des bundesdeutschen Sprachgebrauchs, attestiert dem bayrischen jedoch noch ein Mindestmaß an Nähe und Zugehörigkeit. Das Tirolerische steht in absolutem Gegensatz zum Wienerischen, sowohl inhaltlich als auch melodisch, und im westlichsten Bundesland fühlt mensch sich der Schweiz näher als der Steiermark. Eigenheiten sollen das Besondere hervorheben. Auch inhaltlich werden Setzungen gemacht, die zeigen wer dabei die Norm ist und wer nicht. Frauenfußball heißt Frauenfußball, Männerfußball jedoch Fußball, wodurch klar ist, wer die Abweichlerinnen sind und sich ihren Platz erst erkämpfen müssen. Wittgenstein hat einmal gesagt „die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, was nicht unbedingt für jeden Tal- oder Regionaldialekt ein Kompliment darstellt. Das Beibehalten, Konservieren und Ausschließen quasi als eigene Orientierungsmaßnahme. Ich spreche hier nicht von einem Aufheben jeglicher regionalen Ausprägung und/oder Zugehörigkeit bzw. polemisiere nicht gegen den kulturellen Wert von Sprache, sondern kritisiere den Selbstzweck und Missbrauch von Sprache um Macht auszuüben, auszugrenzen und unhinterfragt ein Wir gegen die Anderen zu schüren.
Weil was ist denn die Grundfunktion von Sprache? Natürlich würden hier je nach Disziplin, gesellschaftlichem und wissenschaftlichem Zugang unterschiedliche Antworten folgen, aber heruntergebrochen auf das Wesentliche ist es die Verständigung. Entwicklungen wie beispielsweise die Verwendung von Anglizismen, das Wegfallen von Präpositionen („Gemma Kino?“ – jugendkultureller Sprachgebrauch) oder die meines Erachtens sinnvolle Verkürzung in der Schriftsprache von „vielleicht“ auf „vll“ werden von konservativen Geistern sehr negativ beäugt, weil zum einen Veränderung nicht erwünscht ist, aber zum anderen Sprache, die oben angeführten Kontroll- und Machtmechanismen, verliert. Unterm Strich bleibt semantisch aber, wenn wir „gemma Kino?“ noch einmal heranziehen, die Frage ob eine Gruppe von Menschen ins Kino geht oder nicht. Mission accomplished sozusagen. Warum die umgangssprachliche Verwendung von „gemma“ (=gehen wir) anerkannt ist, das Weglassen von „ins“ jedoch als Fehler und Fehlen von Vollständigkeit betrachtet wird, bleibt offen. Vielleicht ist die Anerkennung auch nur eine Spielart des Prozesses. Sprachliche Entwicklungen sind besonders durch den wertebehafteten Umgang und Sinn von Sprache unausweichlich. Die Welt wird globaler, die Sprache aber nicht. Irgendwie absurd.
Ein weiterer Punkt, der helfen könnte aufzubrechen und niederzureißen, was zerstört werden muss, wäre eine Kultur des Scheiterns zu etablieren. Zwar scheint sich die Welt einig zu sein, dass nur aus Fehlern gelernt werden kann und ohne die Möglichkeit ein Scheitern zu akzeptieren, wir nicht fähig sind Dinge zu versuchen und uns aus der Komfortzone zu bewegen, trotzdem quittieren wir jegliche sprachliche Unvollkommenheit mit klarer Ablehnung und arbeiten uns an Unförmigkeiten und unkonventionellen Redeergüssen ab. Die Geschichten sind bekannt: Menschen mit schlechten Konversationskompetenzen haben Angst Fehler zu begehen, praktizieren die Sprache dadurch immer weniger, werden noch unsicherer, die Angst überwiegt, die Flucht wird zur Regel, die Exklusion zum Rezept, der Sprachverzicht als logischer Schluss. Ideen, Meinungen und Werte bleiben unausgesprochen, die Anschlussfähigkeit geht verloren oder wird nie gegeben sein. Menschen leben aneinander vorbei, nicht einmal Werte können verbinden, was Mensch durch seinen Mund bereits getrennt hat. Dabei geht es um das Ausverhandeln von Werten und die Partizipation an Prozessen der gesellschaftlichen Entwicklung. Ein Teufelskreis, den ein Habitus an Ablehnung und Fehlergeifer befördert, nur um für den eigenen schmalen Identitätsgewinn genutzt zu werden. Wenn es um die Person ginge, um die Sache an sich, wär der richtige Artikel oder die passende Deklination des Wortes unerheblich. Eine Nebensache. Der Verständigung wegen. Es geht um mehr, es geht um Macht, es geht um eineN selbst in einer immer komplexeren Welt. Warum wir diese Herausforderung nicht gemeinsam nehmen, bleibt ebenfalls unbeantwortet. Für Antworten bräuchten wir nämlich eine gemeinsame Sprache.
Wir tun uns keinen Gefallen wenn wir an den Spracherwerb, vor allem von MigrantInnen, Personen mit Einschränkungen, Lerndefiziten oder schlechtem sozialen Bildungszugang denken und deren Teilhabe und Anschlussfähigkeit. Ohne den spielerischen Zugang, einem Aufweichen von verkrusteten Strukturen sowie Denkmodellen, hartnäckiger Fehlersuche und einem Beharren/Bewahren aufgrund traditionellem Bewusstsein werden wir dem integrativen Geist von Sprache und Sprachentwicklung nicht gerecht und die gesellschaftlichen Anforderungen nicht meistern, sondern verstärken Ungleichheiten, Marginalisierung und Zäune im Kopf.
„Ich bin für gleichen Geld für gleichen Arbeit.“
„Nein, nicht gleichEN Geld für gleichEN Arbeit.“
„Aha. Ok, dann halt nicht.“
Titelbild: Thommy Weiss / pixelio.de