Für mich ist das keine alltägliche Situation. Am Freitag, gegen 11:00 Uhr treffe ich mich mit Christine Pernlochner-Kügler, der vielleicht bekanntesten Bestatterin und Thanatologin Österreichs. Ich bin verunsichert. Ich weiß nicht, was mich vor Ort im Bestattungs-Institut erwartet. Ich gehöre zu den Menschen, die in ihrem bisherigen Leben noch nie eine Leiche gesehen haben. Das Thema Tod ist für mich zwar kein Tabu, aber derzeit weit weg geschoben und gut verstaut.
Das Gespräch wird mich somit mit einem Thema konfrontieren, das im Moment in meinem Leben kaum eine Rolle spielt. Dennoch ist der Tod da. Er kann schnell und unerwartet Teil des Alltags werden. Im Laufe des Gespräch wir mir bewusst: Genau darum geht es. Der Tod ist Teil des Lebens und Teil des Alltages – und soll es auch sein. Je schneller ich mich damit konfrontiere, umso „einfacher“ werde ich mit dem möglichen Tod eines lieben Menschen umgehen und leben können.
AFEU: Christine, kannst du mir bitte ganz grundlegend erklären, was man unter Thanatologie versteht?
Christine Pernlochner-Kügler: Thanatologie ist die Lehre vom Tod. Sie ist interdisziplinär. Thanatologie kann eine philosophische oder eine kulturwissenschaftliche Betrachtungsweise sein. Mittlerweile spielt diese aber auch im Bereich der Bestattung eine Rolle. Dort ist die moderne Verstorbenenversorgung ein Teilbereich der Thanatologie. Es geht dabei um den praktischen Umgang mit dem Verstorbenen.
AFEU: Wie schaut dein Arbeitsalltag ganz konkret aus und wie fließt dieser „theoretische Überbau“ und dein Wissen, in deine Arbeit mit ein?
Pernlochner-Kügler: Mein Arbeitsalltag ist im Grunde genommen ganz praktisch. Ich mache alles, angefangen vom Aufnahmegespräch mit den Angehörigen, bis hin zur Organisation von Trauerfeiern, der Verstorbenen-Versorgung, der Abschiedsbegleitung.
Als Philosophin und Psychologin beschäftige ich mich natürlich auch mit der Theorie im Hintergrund. Ich möchte mein Wissen in den Arbeitsalltag einfließen lassen. Abschiede bei uns laufen anders ab als bei vergleichbaren Bestattern. Bei uns basiert alles auf den Grundlagen der Krisenintervention und der Notfallpsychologie.
Die Philosophie spielt ebenfalls eine Rolle. Sie hatte ja ursprünglich das Ziel, dass man mit der Angst vor dem Tod zu leben lernt. Ich glaube, dass in den letzten Jahrzehnten in dieser Hinsicht einiges falsch gelaufen ist. Der Tod ist ein großes Tabu. Dieses hat dazu geführt, dass die Angst sogar noch größer geworden ist. Eine Möglichkeit wäre es, sich wieder mehr mit dem Tod zu konfrontieren. Dadurch würden die Ängste, zumindest die irrationalen Ängste, langsam abgebaut werden.
Darüber hinaus interessiert man sich mit einem philosophischen Blick dafür, wie mit dem Tod in anderen Kulturen umgegangen wird. Welche anderen Rituale gibt es weltweit? Das ist auch der Grund, warum ich mich bemühe, auch für Menschen mit anderen Weltanschauungen, die nicht christlich-katholisch sind, das entsprechende Angebot parat zu haben.
AFEU: Was macht ihr in dieser Hinsicht anders als bei christlich-katholischen Abschieden? Übernehmt ihr auch Rituale?
Pernlochner-Kügler: Es ist ja so: Wenn man sich weltweit anschaut wie Trauerrituale ablaufen, dann zählt ein Trauerritual zu der Gruppe der Übergangsrituale. Ich gehe in einen anderen Lebensabschnitt über. Man stellt schnell fest, dass diese Trauerrituale immer drei Themen haben. Es wird stets darauf zurückgeschaut, was gewesen ist. Man macht sich immer auch bewusst, dass sich mit dem Tod des Menschen etwas verändert hat. Danach folgt der Ausblick auf den neuen Lebensabschnitt. Damit soll ein Neuanfang initiiert werden.
Hat man diesen Ablauf verstanden und diesen auch als sinnhaft anerkannt, dann kann man diesen mit beliebigen Symbolen füllen. Diese sollten für die Angehörigen eine Bedeutung haben oder zum Leben des Verstorbenen passen.
Natürlich hat das katholische Ritual auch diese drei Elemente. Beim „Neuausblick“ richtet sich der Blick aber immer auf das Jenseits. Es geht auch um eine Rückschau und es geht auch um ein Bewusst-Werden, was sich verändert. Aber das alles ist nicht nur ein katholisches Thema, sondern es ist ein universelles Übergangsritual.
AFEU: Ist das katholische Ritual also zu eng? Es braucht da immer ein Jenseits. Man kann aber ein Ritual auch ohne Jenseits-Fokussierung gestalten.
Pernlochner-Kügler: Genau. Der Mensch ist tot. Es ist vorbei. Ich verabschiede mich von diesem Menschen. Ich darf ihn aber natürlich in Erinnerung behalten. Über diese Erinnerung begleitet er mich weiter. Das wäre die „atheistische Version“.
Im Heute sind die wenigsten Leute „komplett katholisch“. Die meisten haben ihre Weltanschauung „zusammen geschustert“. Da lässt sich natürlich, mit mehr oder weniger esoterischem Hintergrund, etwas anbieten.
AFEU: Hast du Schwierigkeiten mit Esoterik? Gibt es für dich auch Grenzen?
Pernlochner-Kügler: Die Frage ist natürlich, was esoterisch überhaupt ist. Ich tue mir schwer damit. Ich kenne natürlich einige Leute, die ich selbst in diese Ecke stellen würde. Esoterisch wird es für mich, wenn von Energien die Rede ist. Wenn Leute sagen, dass sie da etwas spüren. Sie schalten das Hirn aus und sind nur mehr im Fühlen und im Spüren.
Esoterisch wird es auch, wenn es geistert. Oder wenn es um Jenseitskontakte geht. Wenn das jemand haben möchte, weil er daran glaubt, kann ich Rituale anbieten, die das unterstützen. Ich selbst werde mich da aber sehr zurückhalten. Meine Abschiede sind sehr sachlich und sehr auf das Thema Erinnerung bezogen.
AFEU: Wie gehst du eigentlich selbst mit dem Thema Tod um? Hast du dich durch deine Arbeit in dieser Hinsicht verändert?
Pernlochner-Kügler: Ja, sicherlich. Die ganzen irrationalen Ängste, die man hat, wenn man sich nicht damit beschäftigt, fallen weg. Die Angst vor den Toten oder die Angst vor der Leiche fällt weg. Natürlich bleibt aber die Angst vor dem Tod. Dieser bleibt fremd. Niemand weiß, was danach kommt.
Mein Umgang mit dem Tod ist insgesamt wesentlich pragmatischer geworden. Ich leide nicht mit den Leuten mit. Es kann aber sein, dass mich etwas betroffen macht, weil ich mich mit dem Fall identifizieren kann oder weil ich den Verstorbenen gut kannte.
Ansonsten denke ich mir, dass wir alle einmal sterben. Das gehört dazu. Ich mag nicht sofort sterben und ich habe auch eine gesunde Angst vor dem Tod. Aber es ist nicht so, dass mich das an meiner Lebensfreude oder Lebendigkeit hindert. Das Leben findet im Hier und Jetzt statt. Schauen wir, dass wir es gut über die Bühne bringen.
AFEU: Was würdest du dir im Umgang mit dem Tod wünschen? Soll man Menschen mit dem Tod und toten Menschen konfrontieren?
Pernlochner-Kügler: Ja, denn es ändert etwas. Ich merke das bei uns. Viele, die bei uns zum Abschied beim offenen Sarg kommen, haben zum ersten Mal in ihrem Leben Kontakt mit einem Verstorbenen. Sie haben anfänglich irrsinnig Angst davor. Nicht nur, weil das dieser geliebte Mensch ist, sondern weil sie zum ersten Mal mit dem Tod und mit einer Leiche konfrontiert sind. Diese Menschen gehen aber alle sehr erleichtert wieder bei uns hinaus. Sie können diesen Abschied dann auch als schönes Erlebnis in ihr Leben einordnen. Ich denke somit, dass es die einzige Möglichkeit ist und wäre, das „Tabu Tod“ zu brechen.
Danke für das Gespräch!
"Der Tod ist ein großes Tabu"
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Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.