Wenn man neue Menschen kennenlernt, kommen irgendwann ja die immer gleichen Fragen: „Woher kommst du?“, „Was machst du im Leben?“, „Hast du Geschwister?“ und auch „Was machen deine Eltern?“.
Die letzte Frage ist bei mir bis heute ein Stimmungskiller par excellence. Nicht weil es mir unangenehm ist, eher weil ziemlich schnell so eine mitleidserregende Stimmung aufkommt: „Also meine Mama war Lehrerin, starb aber als ich sieben war an Krebs.“ Dass mein Vater vor wenigen Jahren einen Schlaganfall hatte und nun schwer beeinträchtigt ist, lässt die Stimmung nicht gerade steigen.
Mit der Zeit entwickelt man Methoden dem Ganzen im Gespräch nicht allzu viel Raum zu geben, aber so richtig kommt man aus der Mitleidsschiene schwer raus. Ich bin übrigens durchwegs gewillt über alles zu sprechen, aber vielleicht nicht bei jedem Tinder-Date. Interessant war, als ich vor einiger Zeit jemanden traf und das Gegenüber erzählte: „ Ja, also mein Vater starb als ich drei war.“ Und ich schmunzelte: „ Aha, so ist das von der anderen Seite“. Die große Liebe war’s nicht, aber wir quatschten und scherzten noch einige Zeit über unsere diesbezüglichen Erfahrungen.
Wie ist es ohne Mama aufzuwachsen?
Eigentlich stelle ich darauf meist die Gegenfrage: „Wie ist es mit Mama aufzuwachsen?“. Mittlerweile lebe ich 2/3 meines Lebens ohne Mama und 1/3 war dann mit Mama. Weil mir Erinnerungen zwischen null und drei Jahren fast gänzlich fehlen, bleiben noch drei Jahre mit gesunder Mama und ein Jahr mit kranker Mama.
In meinem späteren Alltag kam es immer wieder zu den bekannten Situationen: „Zeigst du das der Mama.“, „Bringst du das der Mama mit.“ oder auch „Das werd‘ ich deiner Mama sagen.“ Gerade Letzteres war dem Gegenüber sehr peinlich, hat aber auch dazu geführt, dass Vati es nie erfuhr.
Bald konterte ich: „Ich hab keine Mama, aber nicht entschuldigen – ich weiß, das ist eine Ausnahme!“
Als vor wenigen Jahren die „Deine Mama“-Witze hoch im Kurs waren, gab es so manch peinliche Situation. Meist aber, weil Freunde das Gefühl hatten, sie müssten Sittenwächter spielen und dem Witzerzähler sagten, dass meine Mutter verstorben ist. Damit wohnte dem Partyabend auch schon eine kleine Depristimmung bei. Irgendwann begann ich dann konkret zu sagen, dass ich deswegen nicht eingeschnappt bin und wir darauf nun einfach einen Shot trinken und gut ist. Ich finde „Deine Mama“-Witze übrigens auch lustig.
Wie ist es nun also ohne Mama aufzuwachsen?
Keine Ahnung. Schaut mich an. Ich bin dabei rausgekommen.
Was mich nervte:
Am Land aufgewachsen, wo sehr viele Mütter oft Jahrzehnte nicht berufstätigt waren, um sich den Kindern und der Familie zu widmen, hörte man nicht selten: „Kinder brauchen die Mutter!“ – Na toll! Und ich und meine Geschwister sind nun hoffnungslose soziale Härtefälle? Oder was passiert mit uns?
Die Sache ist jene, dass der Satz „Kinder brauchen die Mutter“ unfertig ist. Da muss ja noch was kommen. „Kinder brauchen die Mutter, WEIL…“: sonst „nehmen sie später Drogen“, „werden Prostituierte“ oder was kommt danach?
Ab der Hauptschule und später im Gymnasium diskutierte man immer wieder „Kinderkrippe vs. Mutter“. Vom Vater war selten die Rede. Auch hier kam oft das Credo „Kinder brauchen die Mutter“ – natürlich eher von jenen Mitschülern, deren Mütter Hausfrauen waren. Wer würde ihnen denn sonst das Nutellabrot für die Schuljause schmieren?, dacht ich mir. Dafür braucht es wahrscheinlich Hausfrauen auf dieser Welt.
Später ging es in schriftlichen Erörterungen ja auch immer um die politische Ideologie zu diesem Themenkomplex. Jeder hat die Freiheit zu leben wie er will, aber es ist einfach unendlich zynisch, wenn man im späteren Leben hört, dass konservative Politiker, denen der besondere Wert der Mutter unermesslich wichtig ist, jene sind, die nicht selten diese Familienwerte mit Füßen treten. Von Seitensprung-Affären-Kindern (ehemaliger) Landeshauptmänner hab definitiv nicht nur ich mal was gehört, oder? Kinder brauchen also die Mutter, damit der wertebasierte Vater in der Zwischenzeit fremdvögeln kann? Und von diesen Gesellschaftsgestaltern muss ich mir im übertragenen Sinne sagen lassen: „Ohne Mama – das ist schon nicht normal“
Lange Zeit haben mich solche plumpen Stehsätze wirklich in Rage gebracht. Heute schau ich auf jene Mütter, die ihr Leben der Familie hingaben und deren Kinder. Ich habe keinen Fall in meinem Umfeld wo ich mir denke: „Ach, ich bewundere diesen oder jenen ehemaligen Mitschüler, weil der im Leben Dinge erreicht, die ich begehre und das ist sicher, weil seine Mutter zuhause war.“
Kinder brauchen also die Mutter, damit der Beruf Hausfrau eine Daseinsberechtigung hat?
„Kids need to know you love them, but don’t need you to spend all your time around them“
Allen “Ich muss so lange wie möglich zuhause bleiben, weil das das Beste für mein Kind ist”-Anhängern, empfehle ich diesen Artikel.
Das Kind (und wahrscheinlich generell der Mensch) muss wissen, dass er geliebt wird. Und ob das nun Oma, Opa, Tante, Onkel, Patin, Pate, Vater oder Mutter ist, ist relativ wurscht.
Menschen wollen nicht als „anders“ abgestempelt werden, wenn unter „anders“, „nicht normal“ gemeint ist.
Meine Oma erzählte mir, dass sie bei ihrem ersten Kind nicht ins Krankenhaus nach Zams wollte, weil man dort mit nicht-verheirateten Frauen so schlecht umging und wenn ab 2016 Homosexuelle, Kinder adoptieren dürfen, werden einige sich auch nicht zurückhalten können und lautstark verkünden: „aber das ist doch nicht normal!“ Einfach mal die Fresse halten! Kinder brauchen Liebe und Vorbilder. Und Eltern die sagen, „andere sind nicht normal“, sind keine Vorbilder. Punkt.
Ich werde niemandem seine Ideale wegnehmen, aber schaut‘ euch in eurer Welt um: Wo findet sich noch die „ideale Familie“? Heute ist doch überall Patchwork und die, bei denen alles „ideal“ ist, denen gönn‘ ich das von Herzen. Ich kenne zu viele Menschen, die an diesen gesellschaftlichen Zwängen und Stigmas zerbrochen sind. Es geht also darum, ob wir ein gesellschaftliches Klima schaffen, in dem alles sein darf, oder eines, in dem man andauernd rechtfertigen muss, warum man „nicht normal“ ist. Ich plädiere stark für ersteres!
Sollte der Eindruck entstanden sein, ich vermisse meine Mama nicht, so ist das klar zu negieren. Es gab mal einen Menschen, der ist für 50% meiner DNA verantwortlich. Diesen Menschen kenne ich kaum. Das ist traurig. Aber würde dieser Mensch wollen, dass es mir im Leben schlecht geht und ich in Selbstmitleid verharre? – Nein.
„Es gibt eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen…“ und heute scheint die Sonne.