Mit Begriffen wie „neu“, „neueste“ oder „allerneuste“ sollte man nicht um sich werfen. Vor allem nicht in Bezug auf Musik. Schnell werden einem diese sonst zum Verhängnis. Dazu sei an ein mittlerweile recht bekanntes Festival in Innsbruck erinnert, das in den Anfängen den Zusatz „allerneuste Musik“ im Titel führte. In den Jahren danach verschwand dieser klammheimlich wieder. Zu Recht.
Jetzt ist mir dieser Begriff wieder untergekommen. Bei der „Neuesten Klaviermusik aus Tirol“, die am vergangenen Freitag im Landesmuseum in Innsbruck präsentiert wurde.
Der Begriff „neueste“ ist an sich schon problematisch. Vor allem deshalb, weil er auf zwei grundverschiedene Aspekte der Musik verweist. Zum einen kann damit ein zeitlicher Rahmen bezeichnet sein. Folglich wäre die „neueste Klaviermusik“ jene Musik, die von zeitgenössischen Musikern komponiert oder gespielt wäre. Somit von Menschen, die noch leben oder gar erste kompositorische Schritte unternehmen. Es wäre etwas gesagt über die Biographien und Lebensumstände der Komponisten solcher Stücke. Sie müssten in Tirol leben und vergleichsweise jung sein. Kategorien also, die sich als unproblematisch herausstellen würden.
Wenn ich an das nicht näher bezeichnete ehemalige Festival für „allerneuste“ Musik zurückdenke, dann kommt die Problematik dieser Begrifflichkeit erst wirklich zum Vorschein, wenn sie von der Ebene der bloßen zeitlichen und geographischen Eingrenzung auf die Musik übertragen werden.
Beim besagten Festival war deutlich, dass es nicht um „allerneuste“ Musik ging, etwa was einen strikt vordenkerischen Anspruch betraf. Eher war Musik von den derzeit angesagten Labels gemeint. Die „allerneuste“ Musik, die gerade in gewissen Zirkeln im meist urbanen Raum heiß diskutiert wurde. Jedenfalls ließen sich daraus keine Kriterien gewinnen, mit der sich die Musik tatsächlich beschreiben ließe.
Noch ein Problem ergibt sich dahingehend, dass der Begriff „neu“ stets in Verbindung mit einer wie auch immer gearteten Avantgarde steht. Mit dem Anspruch, Musik neu zu denken, Innovationen zu schaffen. Avantgarde ist dabei auch historisch zu verorten und mit einem kulturellen Fortschrittsdenken verknüpft.
Ob das zum jetzigen Zeitalter der Pluralität passt, ist fraglich. Im Heute gibt es nicht mehr nur ein voran, sondern auch ein seitwärts, rückwärts. Es gibt die Neuinterpretation von vermeintlich „Altem“. Den Rückgriff.
Im Heute ist der informierte Musiker in der Lage sich aus mehreren hundert Jahren Musikgeschichte zu bedienen, ohne sich dem Vorwurf der Rückständigkeit aussetzen zu müssen. Die Avantgarde hingegen ist zum Teil zu einer Masche verkommen. Zu einem selbstbezüglichen, hermetischen Raum, der Rückgriffe und Traditionsbearbeitungen zugunsten einer eigenen Ästhetik ausschließt.
Der Konzertabend „Neuste Klaviermusik aus Tirol“
Geht man mit dieser theoretischen Brille und mit diesem Erkenntnisinteresse zum Konzert mi der „Neusten Klaviermusik aus Tirol“, dann lässt sich einiges schärfer sehen. Unter Umständen kann man mit diesem „scharfen Blick“ auch die Unschärfe besser wahrnehmen.
Das Programm begann mit „5 Bagatellen“ von Michael F.P. Huber. Datiert mit dem Jahr 1993 handelt es sich dabei um frühe Klavierstücke des erst kürzlich mit dem Tiroler Landespreis für zeitgenössische Musik ausgezeichneten Komponisten. Die Stücke sind beschwingt, lebendig, dabei für seine Verhältnisse überraschend skizzenhaft. Manchmal gar ein wenig holprig. Jedoch nicht im Sinne einer Unzulänglichkeit, sondern im Sinne einer wohltuenden Leichtigkeit. Der Pianist Michael Schöch intonierte eindrucksvoll, mit gekonntem Anschlag und den absolut richtigen Akzente, die diese Musik zum Tanzen brachten.
Es folgte Liszt. Und damit ein Komponist, der weder in Tirol lebte und erst recht nicht mehr lebt. Der Begriff „neuste“ bezog sich hier nicht auf einen Zeitraum, sondern auf die Ästhetik. Seine „Bagatelle ohne Tonart“ verzichtet auf ein eindeutiges tonales Zentrum und ist folglich für die damalige Zeit als eine avantgardistische Fingerübung zu bezeichnen. Vieles, das danach noch kommen sollte, wird in diesem kurzen Satz vorweggenommen und auf technisch eindrucksvolle Weise angedeutet.
Franz Baur, mit seinen 4 Klavierstücken aus dem Jahr 2010 fungierte als Bindeglied zwischen dem „neutönenden“ Liszt und dem humoristischen und scharfsinnigen Werk von Werner Pirchner, das auf den Namen „Kleine Messe um C für den lieben Gott“ hörte.
Werner Pirchner ist von allen an diesem Abend gespielten Komponisten derjenige, der einen „zeitgenössischen“ Anspruch an die „neuste Klaviermusik“ am besten auf den Punkt brachte. Das „Neueste“, das gibt es nicht. Die Avantgarde existiert nicht mehr und hat sich zunehmend mit ihrem Elfenbeinturm-Gehabe überflüssig gemacht.
Der kritische, scharfsinnige Komponist und Musiker bedient sich gekonnt aus allen Stilen. Kennt kein E- und U- mehr. Vermengt vermeintlich fortschrittliche und progressive Elemente mit Elementen aus der eher reaktionär anmutenden Volksmusik. Daraus entsteht ein Gebräu, das hochgradig zeitgenössisch ist aber leidige Fragen nach Fortschrittlichkeit, Avantgarde und Innovation ad absurdum führt. Das „Neuste“ an dieser Musik ist, dass sie diesen Begriff kurzerhand suspendiert und durch ein chaotisches, dabei aber stringentes Wildern in allen Bereichen ersetzt.
Der Konzertabend wird mit zwei Kompositionen von Martin Anton Schmid beendet. Ein durchaus mutiger Schritt, diesen Komponisten auf Werner Pirchner folgen zu lassen. Martin Schmid findet leider keine ähnlich überzeugenden Antworten wie Werner Pirchner. Die an diesem Abend aufgeführten Kompositionen sind im ersten Fall wohltönend und geschickt konstruiert. Der Wiedererkennungswert bleibt dabei aber eher bescheiden.
Mit seiner zweiten Komposition, die er den Opfern von Paris widmet, greift er ein gewichtiges Thema auf, das konzeptionell überzeugt, musikalisch aber ähnlich blass bleibt wie seine erste Komposition. Klingt so „Neueste Klaviermusik aus Tirol“?
Möglicherweise, wenn man wiederum von der Musikebene zurückkehrt und sich auf die Biographie des Komponisten bezieht. Martin Schmid lebt in Tirol und komponiert zum Teil interessante Klaviermusik. Aber findet er auch überzeugende Antworten darauf, was diese Kompositionen „neu“ macht? Findet er eine „neue“, zeitgemäße und interessante Ästhetik? Eher nicht.
Eine Konsequenz aus diesem Abend kann nur sein: Endlich Schluss mit „Neu“ machen! Oder aber die Komponisten auffordern, sich Gedanken zu dem Thema zu machen, was „Neuheit“ im Kontext von (ihrer) Klaviermusik tatsächlich bedeuten könnte.
Was bleibt ist ein Abend mit zum Teil hochinteressante Klaviermusik. Was bleibt ist aber auch die Frage, ob ein Abend mit stärkerer begrifflicher Schärfe und konkreterer Befragung der jeweiligen Kompositionen noch lohnend und gewinnbringender gewesen wäre.
Titelbild: Andreas Holzmann