Köln. Schon wieder. Die Angst geht um. Zu Recht. Nicht nur Frauen werden dort bedrängt und sexuell belästigt, auch im Konzertsaal wird gepöbelt und beschimpft. Nicht mal mehr in der Kölner Philharmonie ist man sicher. Dort, wo man sich eigentlich im elitären Elfenbeinturm wähnen könnte. Dort, wo das Gute, Wahre und Schöne zuhause ist.
Dort wo sich die Zuschauer mit komplexen und avancierten Konzepten und Stücken auseinandersetzen können und dies vor allem auch wollen. Die Kölner Philharmonie kann stellvertretend für andere Konzertsäle der Hochkultur in Deutschland und selbstverständlich auch in Österreich stehen. Die Welt ist an diesen Orten noch heil. Könnte man meinen. Doch seit kurzem ist alles anders.
Unsere europäische Identität ist in Gefahr. Unsere Kultur und unsere Werte gehen gerade den Bach hinunter. Flüchtlinge strömen zu Abertausenden zu uns nach Europa. Es sind schon so viele, dass wir gar nicht mehr wissen, wer wir wirklich sind. Umso wichtiger, dass wir unser Werte der Aufklärung und des allumfassenden Humanismus verteidigen. Sonst wird es noch schlimm mit uns enden. Dass wir Ausländer abschieben, die straffällig werden oder gar unsere Frauen bedrohen ist außerdem wohl eine Selbstverständlichkeit.
Es ist wirklich schon weit gekommen. Der Musiker Mahan Esfahani spielt mit seinem Cembalo in Köln an besagtem Ort. Zum Glück auch unsere Musik, die zu uns gehört wie das Amen im Gebet. Johann Sebastian Bach. Den anderen Bach. Ein bisschen zeitgenössische und „Neue“ Musik, der gegenüber man sich schließlich auch nicht ganz verschließen darf. Als aufgeklärte, gebildete Menschen lassen wir diese etwas extravaganten Kompositionen über uns ergehen.
Als uns dieser „Nicht-Deutsche“ am Cembalo aber das Konzept von Steve Reich und dessen Stück „Piano Phase“ auf Englisch erklären möchte, wird eine Grenze überschritten. Erste Rufe werden laut: „Reden Sie doch gefälligst Deutsch!“. In der Kölner Philharmonie wird man das doch noch erwarten dürfen. Während draußen die Flüchtlinge und Migranten pöbeln wollen wir wenigstens hier unsere guten alten Werte und unsere Kultur hochgehalten sehen.
Es kommt wie es kommen muss. Das Publikum zieht sich zurück. Beharrt darauf so zu sein, wie es eben ist. Wir sind Wir. Unsere Kultur kann mit Minimal-Music, Steve Reich und dessen repetitiver Musik nichts anfangen. Das Publikum beginnt nach wenigen Minuten zu lachen, zu pfeifen und immer unruhiger zu werden. Einige verlassen den Saal.
Der Cembalist stellt, als er das Konzert schließlich unterbrechen muss, die alles entscheidende Frage: „Wovor haben Sie Angst?“ Das Publikum bleibt eine Antwort schuldig. Nach dem Konzert entschuldigt sich ein Zuschauer im Namen des Publikums für dessen Verhalten. Klar. Eigentlich ist das Publikum hier nicht so. Es hatte wohl nur einen schlechten Tag und gerade keine Lust auf diese Art von Musik.
Interessanter als diese Entschuldigung wäre aber eine Antwort gewesen. Eine Antwort auf die Frage von Mahan Esfahani. „Wovor haben Sie Angst?“ Es ist evident, dass das Publikum Angst hatte. Oder sich fürchtete. Zumindest aber tatsächlich verunsichert war von diesem Stück Musik, das zwar ein Klassiker der „Minimal-Music“ ist aber den letzten Einzug in den Kanon der großen zeitgenössischen Musik nicht geschafft hat. Das Stück ist fremd, das Konzept wenig vertraut. Möglicherweise auch irritierend. Es ist nicht schön im eigentlichen Sinne, man muss sich mit dem Konzept dahinter beschäftigen um es tiefergehend zu verstehen. Es sperrt sich gegen die rein schöngeistige und bildungsbürgerliche Rezeption.
Die Antwort des Publikums hätte somit lauten müssen: „Ja, wir haben Angst!“. Wir haben Angst vor dem Fremden. Vor dem, das sich unseren Gewohnheiten und Konventionen entgegenstellt. Vor dem, das nicht zu uns gehört. Vor dem, das wir als Bedrohung wahrnehmen, das wir im ersten Moment nicht verstehen. Wir haben Angst vor dem Zeitgenössischen und Angst vor der Gegenwart.
Wir haben Angst vor der Komplexität der Jetzt-Zeit. Wir wissen nicht, wie sich Europa durch die Migration verändern wird und was mit unseren „Werten“ passieren wird. Wir haben Angst vor Musik, die sich außerhalb unseres europäischen Kanons befindet. Generell somit vor zu viel Fremdheit, vor zu viel Andersartigkeit, vor Menschen und Konzepten, die wir noch nicht einordnen und schon gar nicht in unser Weltbild und unsere Vorstellung von Kunst und Kultur integrieren können.
Was in Köln passiert könnte überall passieren und wird bald überall passieren. Wir sollten Angst haben. Aber nicht vor dem „Fremden“ und dem „Andersartigen“, sondern vor unserer eigenen Kleingeistigkeit. Wir sollten uns für unser verzweifeltes und pedantisches Festhalten an unseren Werten schämen. Die Frage „Wovor haben Sie Angst“ muss also anders beantwortet werden. Ich habe Angst vor Verschlossenheit, Kleingeistigkeit und vor mit kultureller Identität gerechtfertigter Dummheit und Kleinbürgerlichkeit. Das könnte Europa und „unsere“ Identität tatsächlich ernsthaft gefährden.
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Markus Stegmayr , so sehe ich das auch. Hier kommen Kleingeist und soziale Inkompetenz zusammen, drücken sich in Unmut über den Verfall irgendwelcher imaginärer „abendländischer“ Werte aus, die einem Puritanismus näher stehen als allem anderen, die geistig fett und bequem geworden sind und einem Größenwahn anheim fallen, sich der Jetztzeit verschließen zu können.
Es gibt anscheinend wirklich Konzertbesucher, denen alles ab Brahms verhasst ist und die andere Geschmacksrichtungen als die der einfachen Tonalität mit ihren untereinander in Beziehung tretenden Tonika- Subdominant- und Dominantklängen als „modernen Irrsinn“ abtun.
Dieser Zustand entpuppt sich nun, wo sie aus irgendwelchen Gründen ihre einfache Weltsicht in Gefahr sehen, als öffentliche Renitenz und Respektlosigkeit. Sie fordern einen falschen Respekt des Künstlers gegenüber dem Publikum ein, nur das ihnen lieb und teure Musikgut zu spielen, nur eine „gute deutsche Tradition“ zu pflegen. Sie sehen sich als Arbeitgeber und Auftraggeber für den Künstler und seine Darbietung, sie sehen sich als Gönner der Kunst. Dies hat nationalistische Züge an sich und von daher wundert der Ausruf: „Sprechen Sie gefälligst deutsch“ nicht sonderlich. Damit ist nun eine Grenze überschritten, die lange Zeit gehalten hat. Das pöbelnde Klatschen und Kreischen, das man vor brennenden Häusern findet hat nun Einzug in die Konzertsäle gehalten.
Steve Reich und Minimal Music? Das ist ja nun wirklich nicht mehr neu…auf welchem Planeten wohnen denn die?….na ja, wenn ich’s mir genau überlege: hab genügend Kollegen (Lehrende!!!), die alles nach Mozart verachten…grausam…
Hallo Markus Stegmayr und Markus Brylka!
Ich sehe das etwas anders. Musik ist vor allem Geschmacksache, egal in welchem Genre. Und zeitgenössische Musik wird schon seit langem als „Mitbringsel“ im Rahmen von klassischen Konzerten gespielt. Aber es muss erlaubt sein, als zahlender Zuhörer den Konzertsaal zu verlassen, wenn man sich die 18 Minuten immer gleiche Tonfolge von Steve Reichs „Piano Phase“ nicht anhören will. Den individuellen Geschmack als Kleingeist zu verunglimpfen, ist also auch nicht angebracht.
Pöbeleien gegen einen Künstler oder Musiker darf es selbstverständlich nicht geben. Da bin ich Eurer Meinung. Dies aber sofort als Rassismus zu identifizieren und mit den unsäglichen rechtsradikalen Vorkommnissen in der deutschen Flüchtlingskrise gleich zu stellen ist zumindest verwegen!
MfG
Grit C.
Kleine Korrektur: Die Anweisung, man solle Deutsch sprechen, bezog sich laut den anderen Konzertbesuchern auf den (nicht hoch genug zu lobenden) Mann, der spontan zum Mikro ging und sich auf Englisch für die Störer entschuldigte – eben nicht auf Herrn Esfahani. Das läßt die Sache in etwas anderem Licht erscheinen.
Hallo Paul,
gibt es dazu gesicherte Informationen? Der Musiker selbst behauptet ja, dass es sich sehr wohl auf seinen Erklärung bezogen hat. Ich muss vorausschicken, dass ich nicht dabei war. Viele andere die darüber geschrieben haben nicht und vermutlich du auch nicht. Ich würde mich natürlich darüber freuen wenn jemand gesichert sagen könnte, wie es wirklich war. Bis dahin glaube ich aber den Aussagen des Musikers.
Ich denke, dass der Vorfall in der Kölner Philharmonie höchstens einen Nebensatz in der Rheinischen Post wert gewesen wäre, wenn es nicht die Kölner Philharmonie gewesen wäre, der Hort der modernen Kultur in der Stadt, die ja früher so aufgeschlossen war und wo heute nur mehr Frauen belästigt werden, wo das alles stattfand…
Als Teilzeitkölner und Vollzeitmusiker kann ich sagen, Köln war weder bis 2015 ideal und in allem liberal und aufgeschlossen (schließlich leben Menschen hier und die sind bekanntlich verschieden), noch gibt es jetzt plötzlich einen Rückschritt in die Barbarei. Genauso ist das Großstadtpublikum, so sehr es mehr gewöhnt ist und damit auch – gezwungenermaßen 😉 – offener gegenüber Neuem, trotzdem immer heterogen, und in fast jedem Saal wird sich ein Opa finden, der mit dem Stock winkt und sagt, früher war alles besser!
Eines finde ich aber wirklich bedenklich: Man schreibt, liest und spricht viel über eine Angst, die es zu überwinden gibt. Angst vor Neuem/Anderem, die viele Leute dazu bringt, ihre eigenen Manieren aufzugeben und gesunde Hemmschwellen zu überschreiten. Ich glaube ein großes Problem ist, wenn es als Entschuldigung schon reicht, eine Angst zu behaupten, um die eigene Bequemlichkeit zu schützen. Das kann sein, dass man zu faul ist, in einem Konzert die Ankündigung auf englisch zu verstehen, Autokraten als Partner bezeichnet, damit man bessere Geschäfte macht und die (wirtschaftliche) Harmonie nicht gefährdet oder Grenzen dicht macht, um sich vorzugaukeln, wir haben das Jahr 1960.
Wahrscheinlich ist die einzige Möglichkeit, selbst etwas Gutes zu tun, die Menschen in den unmittelbaren Umgebung aus Ihren Schaukelstühlen zu werfen und das eigene Stehvermögen zu pflegen, um nicht selbst seine menschlichen und kulturellen Prinzipien aufzuweichen. Um aus der großen Welt schließlich in den Konzertsaal zurückzukommen: Ablehnung von Musik, die einem nicht gefällt, Buhrufe, Verlassen des Saales sind eine schöne Tradition, die man beibehalten sollte. Aber Fehlverhalten aus Bequemlichkeit, das finde ich daneben!
„Kleine Korrektur: Die Anweisung, man solle Deutsch sprechen, bezog sich laut den anderen Konzertbesuchern auf den (nicht hoch genug zu lobenden) Mann, der spontan zum Mikro ging und sich auf Englisch für die Störer entschuldigte – eben nicht auf Herrn Esfahani. Das läßt die Sache in etwas anderem Licht erscheinen.“
Eigentlich nicht. Denn wenn sich der nicht hoch genug zu lobende Mann an Herrn Esfahani wandte, ist die Aufforderung, er solle Deutsch und nicht etwa in der Sprache, die letzterer auch versteht zu sprechen, ebenfalls äußerst unhöflich und nicht frei von Rassismus.
Die entscheidende Frage aber ist, und darum sollten wir uns nicht druecken und auch nicht durch wortgewaltige Girlanden ablenken lassen, wie weit sind wir noch von der Wiedereinfuehrung von Begrifflichkeiten wie „entartete Kunst“ entfernt?