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Tagebuch eines Waldbewohners (5)

6 Minuten Lesedauer

Montag

Wieder einmal ein erster Schultag nach drei Wochen verschärftem Zugesperre.

Seit dem Wochenende schneit es nach und nach ins Tal herunter, davor und dazwischen heftige Regengüsse, was es hier geregnet hat und noch mehr, hat es im südlichen Österreich geschneit, in Obertilliach gab es gestern früh 2 m Schnee, Lawinenwarnstufe 5. Wir warten gespannt darauf, bis diese übertriebene Menge Schnee als Folge des Klimawandels diagnostiziert wird und wir deshalb dazu aufgefordert werden, nur mehr, wenn überhaupt, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Einer der Experten sollte uns einmal begleiten bzw. vormachen, wie er sich das Leben hier heroben mit öffentlichen Verkehrsmitteln vorstellt (oder das Leben auf dem Land, ganz allgemein). In der Früh Mädchen in die Schule bringen, dann nach Völs, Hirse 40 kg für die Hennen beim Schwarzenberger, dann Lagerhaus (Südring) Weizen für die Hennen 30 kg. Dann in die Stadt Einkäufe, Wurst, Speck, Zimt, Kokosblütenzucker (selbiger war schon beim Fruchthof am Freitag nicht vorrätig, heute beim Martin, da ist gerade wegen eines kleineren Umbaus das halbe Geschäft ausgeräumt, der KBZ befindet sich in der falschen Hälfte, zurzeit im Lager irgendwo ziemlich hinten unten drinnen). Mittags herauf, später am Nachmittag noch die Mädchen vom Bus geholt, die Laura vom Nachbarn war mit ihnen, wurde auch noch kurz nach Hause expediert, dann endlich daheim.

Der Experte würde wohl dazu raten, zunächst die Hühnerzucht aufzugeben und in zweiter Linie in die Stadt zu übersiedeln, also ziemlich genau das sagen, was fallweise unsere dem Mittelmeerraum oder vorderen Orient entstammenden Taxifahrer (zumindest deren weit überwiegende Mehrzahl) sagen, wenn sie einen von uns aus der Stadt da herauf in den Wald geschippert haben. Der Ukrainer vor einem oder zwei Jahren fand es hingegen ganz hervorragend, hier in der Wildnis zu wohnen, er kannte die Gegend schon vom Radfahren. Im übrigen würde der Experte vielleicht sagen, daß Zimt und Kokosblütenzucker nicht lokal angebaut würden und deshalb auf mittlere Sicht sowieso eingespart gehörten, Speck und Wurst hingegen unten im Dorf auch erhältlich seien, was man mit einem gesunden einstündigen Spaziergang verbinden könne, anstatt vom Haus weg in die Höhe zu streben, was wir am Nachmittag getan hatten; diese angenehme wohlige kleine Müdigkeit, wenn man sich in der kalten Winterluft einigermaßen bewegt hat (kurz hinauf zur Enzianhütte und über Purenhof zurück). Die Kinder könnten die halbe Stunde zufuß von der Bus-Endstation ruhig auch zu Fuß gehen, womit der Experte natürlich an sich recht hätte; allerdings bekommen sie amtlicherseits (dies eine Folge der uferlosen Produktion von Gratis-Schulbüchern) eine solche Menge Papier in die Schultasche gestopft, daß ihnen das nicht jederzeit zugemutet werden kann, zumal wenn es jetzt um halb 5 am Nachmittag stockfinster ist. Im übrigen könnte sein, daß wir uns, ohne es zu wissen, schon im Trainingsvorlauf auf die leuchtende Zukunft befinden, wenn es dann nur noch gute, grüne Energie gibt, die sich die einkommensschwächere Hälfte der Bevölkerung sowieso nicht mehr leisten kann.

A propos Klimawandel, um nochmals darauf zu sprechen zu kommen, womit sie uns absehbar dann wieder drangsalieren werden, wenn ihnen die Seuche langweilig geworden ist oder sie befunden haben, die Impfung funktioniere nun bestens und somit sei es nun an der Zeit, die Bevölkerung mit kleineren Schikanen auch klimamäßig sozusagen wieder auf Vordermann zu bringen. Seit im Sommer 2019 unser Innsbrucker Gemeinderat die Klimakrise für Innsbruck ausgerufen und so irgendwie halb verhuscht wieder widerrufen hat, habe ich vergeblich auf nähere Angaben zur spezifischen Ausformung selbiger Krise im Innsbrucker Raum gewartet, auf deutsch: in welcher Form zeigt sich diese Krise, woran kann man erkennen, daß wir uns jetzt in dieser Krise drinnen befinden? Um zweckdienliche Hinweise, bevorzugt von Angehörigen jenes erleuchteten Gremiums, das den Beschluß gefaßt hat, wird gebeten. Als markant ist mir der Temperaturrekord von glaublich 38,4 °C aus dem Sommer 2019 in Erinnerung, der die Eigenschaft hatte, daß er exakt 0,1 °C über dem bisherigen Rekord von 1983 liegt. Wenn man in Rechnung stellen würde, daß in den fast 40 Jahren seither die Stadt Innsbruck und ihre Umgebung mit großer Sorgfalt und Konsequenz von vorne bis hinten zubetoniert, zuasphaltiert, verglast und sonstwie versiegelt wurde, dann liegt der neue Rekord real wahrscheinlich ein oder zwei Grad hinter bzw. unter dem alten. An den Sommer 83 kann ich mich gut erinnern, allerdings war ich zur Zeit des Rekords, im Juli, nicht in Innsbruck, sondern an einem deutlich heißeren Ort, nämlich in Südfrankreich, in Aix-en-Provence. Dort hatte es vierzig Grad am Tag und dreißig in der Nacht, weswegen man den Tag möglichst, ohne sich zu bewegen, in einem Gastgarten bei einem kühlen Getränk zubrachte und den Abend in demselben Gastgarten bei einem kleinen Bier, ebenfalls ohne sich zu bewegen. So heiß wird es bei uns nicht einmal in den wagemutigsten Klimamodellen.

Walter Klier, geb. 1955 in Innsbruck, lebt in Innsbruck und Rum. Schriftsteller und Maler.
Belletristik, Essays, Literaturkritik, Übersetzungen, Sachbücher. Mitherausgeber der Zeitschrift "Gegenwart" (1989—1997, mit Stefanie Holzer). Kommentare für die Tiroler Tageszeitung 2002–2019.
Zahlreiche Buchveröffentlichungen, u.a.: Grüne Zeiten. Roman (1998/Taschenbuch 2014), Leutnant Pepi zieht in den Krieg. Das Tagebuch des Josef Prochaska. Roman, 2008. Taschenbuch 2014). Der längste Sommer. Eine Erinnerung. 2013.
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