In loser Folge stellt das Alpenfeuilleton Ereignisse, Schicksale oder Gegenstände vor, die das Zauberwort „Alpen“ genetisch in sich tragen.
Ganz früher einmal hat man in den Alpen die Kinder selbst gemacht. Der Schweizer Autor Adolf Muschg beschreibt in der Erzählung „Der Zusenn oder das Heimat“ (1972), wie man ab einer gewissen Seehöhe kaum mehr einen Geschlechtsverkehr zwischen Tieren und Menschen unterscheidet, vor allem bei Nebel nicht, sodass es zu seltsam unfruchtbaren Zeugungen kommt.
Ok, das scheint eine Sackgasse der alpinen Vermehrung zu sein. Später fahren ausgewiesene Ehepaare mit Zeugungsdefizit in die Ukraine und lassen sich in Privatkliniken, die zwischen Lviv und Uschhorod aufgefädelt sind, von Leihmüttern ihre Kinder austragen.
Da die Karpaten ähnlich aufgebaut sind wie die Alpen, zumindest an der Oberfläche und was das Brauchtum betrifft, können Karpatenkinder schon seit jeher problemlos in die Schweiz oder nach Österreich transferiert und als Alpenkinder locker in die Bevölkerung eingegliedert werden.
Aber es kommt noch kommoder. Gerade in Kriegszeiten ist die Ukraine von je her ein unsicheres Reproduktionsbecken, weshalb jetzt das Alpenkind als geschützte Marke quasi vor der Haustür bezogen werden kann.
Im Internet ist unter Alpenkind geschützte Marke der Vermerk angebracht: „Ladengeschäft – Bitte Klingeln!“ Der Ort Marquartstein, an dem sich die Klingel befindet, liegt mehr oder weniger auf der Luftlinie des kleinen deutschen Ecks, lässt sich also auf dem Weg nach Salzburg mit einem kleinen Abstecher anfahren und abarbeiten.
Die Gemeinde Marquartstein besteht übrigens aus zwanzig Teilen verschiedenen Siedlungstyps. Sie sind für die Inspiration zum Alpenkind von unschätzbarem Wert.
Dicking (Einöde) / Entlehen (Einöde) / Grenzmühle (Einöde) / Holzen (Einöde) / Mooshäusl (Einöde) / Oed (Dorf) / Schwaig (Berghütte) / Streunthal (Weiler) und Wuhrbichl (Weiler) dienen als die bekanntesten Schnittmuster für Outdoor-Kleidung.
Bei Alpenkind handelt es sich nämlich um Outdoor-Mode für Kinder, was für Eltern den Vorteil hat, dass sie tolle Mode ausführen können, ohne dass sie die darin quengelnden Kinder beaufsichtigen müssen.
Du betrittst als guter Vater also mit dem Outdoor-Anzug über dem Unterarm die Gondel, zeigst die Mode in allen Facetten und fährst anschließend über die Familienabfahrt zu Tal. Dabei wedelst du mit dem Alpenkind, bis dich die informierten Influenzer mit dem Smartphone aufgenommen haben, die du an den Pistenrand gebeten hast.
Auf der Homepage wird die Geschichte von Alpenkind erzählt. Die entscheidenden Stellen:
„Alpenkind war die Idee von C. J. P. und ihres Mannes S., die begeisterten Kletterer führen seit jeher ein aktives Outdoorleben, das sie seit einigen Jahren mit ihren Kindern teilen.
Die richtige Kinderkleidung dafür zu finden, war nicht so einfach. Fündig wurden sie in Skandinavien. Im kalten Nordeuropa sei die Outdoorbekleidungsindustrie für Kinder naturgemäß weiter entwickelt als im restlichen Europa, die Kleidung ausgereifter und der Verbraucher sensibler gegenüber Themen wie Nachhaltigkeit und Langlebigkeit.
Mal ehrlich: Kennt Ihr ein echtes Outdoorgeschäft für Kinder?“
Solcherart erregt entsteht wie bei allen Dingen, die man gerne hätte, der Wunsch nach einem Aufkleber, mit dem man seine Sehnsucht ausdrücken kann.
Den Aufkleber gibt es in einem Edelweiß-Snowboard-Store mit matter oder glänzender Oberfläche.
Das Alpenkind eignet sich jedenfalls hervorragend als Substitut für Kinder, die sich nur umständlich integrieren lassen. Wer einmal versucht hat, ein migrierendes unbegleitetes Kind per Adoption zu einem Alpenkind zu machen, wird bald einmal abwinken und sich dem echten Alpenkind als geschützte Marke zuwenden.
STICHPUNKT 22|27, geschrieben am 21. März 2022