(c) Helmuth Schönauer

Schönreden

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An manchen Tagen kommt eine stille Trauer auf wie Regen, den man lange erwartet hat. Die Trauer ist vielleicht die Rettung aus einer Depression, die schon wochenlang über dem Gebirge liegt. Selbst die Gipfel sind an solchen Tagen geplättet von Wolken, die die Gestalt einer psychiatrischen Couch angenommen haben.

Jemand hat vor Wochen einen Sender eingestellt, der sich von einer Zeituhr gesteuert autonom ein- und ausschaltet.

Es kommen keine guten Nachrichten daraus hervor.

Ein Schriftsteller hat für diese Tage der Trübnis einen sogenannten Guide durch dunkle Zeiten geschrieben.

Er empfiehlt, sofort abzudrehen, wenn jemand sagt:
„Wir gehen in eine kurze Werbepause, bleiben Sie dran!“

Wenn in einer Buchbesprechung das Wort „spannend“ auftaucht, kannst du Rezension und Buch sofort wegschmeißen.

Wenn politische Anfänger (wie jetzt in der neuen Landesregierung) etwas für „ganz ganz wichtig“ halten, baue für dich selbst den Nonsens um und nenne es „ganz ganz witzig“.

Wenn du die Leere des Daseins mit Worten auskleiden möchtest, mache eine kleine Schreibwerkstatt mit dir, oder lies  die Floskeln, die Ludwig Fleischer zu einer Ermunterung zusammengefasst hat.

„Am Ende des Tages / 
ich habe mich schlau gemacht / 
von da her /
da bin ich ganz bei Ihnen / 
wir müssen die Kirche im Dorf lassen /
ich sehe hier massiven Handlungsbedarf /
wir reden hier von Tausenden Betroffenen /
ich habe mich vor Ort davon überzeugt /
und ja, das ist ein Muss /
das kann’s ja nicht sein /
aus meiner Sicht /
es braucht Innovation /
insofern weil / 
das ist ein absolutes No-Go / 
die Wirtschaft brummt wie schon lange nicht /
wir haben hier eine klare Vin-Vin-Situation /
die Kulturpolitik hat uns außen vor gelassen / 
wir werden ein neues Maßnahmenpaket ausrollen“ (117) ⁺

⁺ Ludwig Roman Fleischer: Partnerlook. Monologroman.
Klagenfurt: Sisyphus 2022. 

Du musst mit deinen Floskeln über die Runden kommen, auch wenn du nichts zu sagen hast.

Du musst die Tage selbst als Floskeln nehmen.

Du musst alles schönreden, bis es auf einen Grabstein passt.
Auf den kannst du dann schreiben:
WAS FÜR EIN AUFWAND FÜR NICHTS!

STICHPUNKT 22|87, geschrieben am 08.11.2022

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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