Zu Weihnachten möchte man sich in der warmen Stube bei Kerzenduft einmummeln und kurz mal bei einem guten Buch die Kälte und den Stress des Alltags hinter sich lassen. In Krisensituationen, und dazu zählen leider auch manche Familientreffen zur Weihnachtszeit, gibt es bekanntlich zwei Möglichkeiten: Flucht oder Sich-Stellen. Die Romanwelt bietet probate Fluchtmöglichkeiten für jeden Geschmack. Aber es gibt auch Sachbücher, die ebenso spannend und stimmungsaufhellend zu lesen sind, beide Reflexe bedienen und uns zusätzlich im Umgang mit „schwierigen“ Gesprächspartnern am Weihnachtstisch hilfreich sein könnten. Da kann ich nur die Bücher von Maren Urner empfehlen.
Maren Urner forschte zehn Jahre lang als Neurowissenschaftlerin und widmet sich seither als Dozentin für Medienpsychologie dem Thema, wie Informationen gehirngerecht vermittelt werden sollten, damit wir nicht vom Informations-Überangebot, von Fake News und Katastrophenmeldungen geistig erschlagen, depressiv, aggressiv oder handlungsunfähig gemacht werden. Ganz nebenbei hat sie eine online-Zeitung mitgegründet, welche uns die Weltgeschehnisse nach den Maßstäben eines seriösen und zugleich für unsere Gehirne besser verarbeitbaren Journalismus präsentiert: „Perspective Daily“. Die neurologischen Vorgaben für eine bessere Verarbeitung der täglich auf uns einprasselnden Informationen beschreibt sie unter anderem in ihrem Buch „Schluss mit dem täglichen Weltuntergang. Wie wir uns gegen die digitale Vermüllung unserer Gehirne wehren.“
In ihrem zweiten Buch „Raus aus der ewigen Dauerkrise“ befasst sie sich damit, wie wir uns in unserer Zeit mit den multiplen Krisen (auch dieses Wort hinterfragt sie) besser sortieren könnten, um mit unserem Denken und Fühlen nicht im Negativen und im Gefühl der Hilflosigkeit unterzugehen oder in falsche Welten zu flüchten.
In ihrer neuesten Publikation „Radikal emotional“ räumt sie mit der Vorstellung auf, dass Politik und überhaupt Diskurse nach rein sachlichen Maßstäben ablaufen bzw. jemals ablaufen könnten, und wie wir Kategorien wie Emotion und Rationalität wieder als Einheit begreifen und benützen sollten, wenn wir unsere Demokratie und den sozialen Frieden bewahren wollen.
Die Bücher sind für jedermann leicht zu lesen, anschaulich und abwechslungsreich in der Vielfalt der Zusammenhänge, aber trotzdem wissenschaftlich solide unterfüttert – und vor allem: keine der üblichen Ratgeberliteratur! In bester wissenschaftlicher Manier wird hier bloß dargestellt, wie verführbar und wie leicht fehlzuleiten unser menschliches Gehirn ist, und welche Auswirkungen das auf unsere eigene Gesundheit und auf den Zustand unserer Gesellschaft hat. Sie zeigt uns auf, warum wir unweigerlich Denkfehler begehen und wie wir sie erkennen, vielleicht sogar vermeiden könnten. Wir verfolgen die selbstkritischen Denkvorgänge einer Wissenschaftlerin, die ihren eigenen Denkprozessen und Gefühlen genauso wie den unseren auf der Spur ist — und damit auch unserem gesellschaftlichen (Fehl)Verhalten. Ganz ohne Zeigefinger. Bloß eine fundierte Anleitung zur Selbstbeobachtung.
Nach der Lektüre ihrer Bücher haben wir einiges über uns bisher unbekannte Zusammenhänge erfahren und darüber, wie unsere Köpfe die auf uns einströmenden Informationen (nicht) verarbeiten können. Damit wird es uns dann hoffentlich auch leichter fallen, nicht die Nerven oder den Respekt zu verlieren, wenn uns am Weihnachtstisch ein lieber Verwandter mit Aluhut-Aussagen und Fake-News-Gewissheiten daherkommt. Und für kluge Tischgespräche können wir allemal mit interessanten neuen Fakten und Zitaten aufwarten.
Deshalb meine Empfehlung: Unbedingt schon VOR Weihnachten lesen!
