Jetzt ist er von einem Tag auf den anderen weg, einfach so, man fasst es nicht. Er war für mich (und vielleicht nicht nur für mich) eine Art irrlichternde Konstante, die einem nach Jahren des Verschwunden-Seins plötzlich an irgendeiner Ecke des Lebens wieder begegnete. Unverändert freundlich und humorvoll. Ein unerschütterlich neugieriger Beobachter. Ein etwas schusseliger, stets jedoch absolut verlässlicher — vor Jahrzehnten: Studierender, später: Schriftstellerkollege, am Ende selbst Lehrer an jener Schule, an welcher er viele Jahre zuvor in „meiner“ Klasse gesessen hatte. Damals wie zuletzt: ein humorvoll durch die Welt flanierender Philosoph; hilfsbereit und aufmerksam; nie zynisch in seiner Diagnose der Absurditäten des Daseins.
In seinen 3 Bänden von Kürzesttexten* hat er uns ein schmales, dennoch bemerkenswert gewichtiges literarisches Werk hinterlassen. Helmuth Schönauer spricht zu Recht von einer „kafkaesken Trilogie“, von Geschichten als „grotesken Auswüchsen einer logischen Kette, die an ihrer schrägsten Stelle gerissen ist.“** Tatsächlich münden Maiers lapidare Minitexte und Sentenzen, ausgehend von banalen Alltagsbegebenheiten, meistens in einem existenziellen Paradoxon.
Einer seiner Texte könnte beinahe als Zusammenfassung seiner Schriftstellertätigkeit gelten, die er mit unaufgeregter Ernsthaftigkeit und viel Selbstironie betrieb: „Unterlassung: Hätte er das Werk zu Ende gebracht, wäre nichts passiert. So war es schon zu spät, als er begonnen hatte. Er konnte nun alles sich selbst überlassen. Zufrieden sei er nicht gewesen.“ (Oder so, S. 35)
Immer wieder taucht neben dem Motiv der „Zeit“ auch jenes des „Gehens“ auf, nicht nur in seinem letzten Buch, das schon im Titel dieses vieldeutige Leitmotiv bedient. Die Figuren bewegen sich stets zielgerichtet ins Leere oder ziellos auf einen Endpunkt zu, der sich dann seinerseits wieder einer klaren Definition entzieht. „Ich mache das oft, sinnlose Kreise um irgendwelche Häuser zu ziehen, mit Vorliebe dann, wenn die Stadt über mir hängt …“, bemerkt schon der Erzähler in einem seiner allerfrühesten Texte. *** Maiers Erzählerfiguren flanieren durch Innsbruck und verlieren sich innerhalb weniger Sätze in Absurdistan. Auch Stolpern gehört dazu, wie in: „Selbstbewusstsein: Stolpere mit Selbstvertrauen und einem breiten Lächeln. Wer einmal stolpert, schafft es auch ein zweites Mal.“ (Geht auch anders, S 75)
Wie absurd, dass Martin Maier vor einem Monat noch lachend erzählte, dass er „blöd gestolpert“ sei und deshalb an Krücken gehen musste. Welche Gemeinheit des Schicksals, dass ihm selbst ein zweites Stolpern nun versagt bleiben soll. Doch er selbst würde vielleicht darüber grinsen und auf seinen Text verweisen:
„Er war in ein Zeitloch geraten. Warum, wusste er nicht, ebenso nicht, ob es Zeitlöcher gab. Also machte er sich keine weiteren Gedanken darüber und setzte seine Tätigkeit fort. Man wisse nie, wofür es gut sei.“ (Geht auch anders, S.99)
Genauso unvermutet wie seine Figur ist Martin Maier nun für uns ins Zeitloch gefallen, und dennoch wird man das Gefühl nicht los, er müsste jeden Moment vom anderen Ende des Universums lachend wieder auftauchen.
Sollte er das aufgrund von lästigen physikalischen Gesetzmäßigkeiten doch nicht schaffen, gibt es zumindest eine Verabschiedungsfeier, bei der er sicher noch einmal sehr präsent sein wird:
Am Samstag, 1. März 2025, 17.00 Uhr, VIER UND EINZIG, Hallerstraße 41 / Innsbruck
*) Martin Maier: „Oder so“ 2022; „Engstelle“2023“; „Geht auch anders“ 2024; alle: edition art science, St. Wolfgang
**) Rezensionen von Helmuth Schönauer: Tiroler Gegenwartsliteratur 2312/ 2365/ 2420. Zuletzt nachzulesen: https://schoepfblog.at/helmuth-schonauer-bespricht-martin-maier/
***) „Geräucherte Ochsenhornsuppe“, eine Erzählung, mit der er als Studierender im Schuljahr 1983/84 bei einem Schreibwettbewerb am Abendgymnasium Innsbruck den 2. Preis gewann. In: Festschrift „40 Jahre Gymnasium für Berufstätige“,1985.