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Amerika gibt es nicht. Oder: Warum Trump vielleicht doch der passende Präsident ist

In Peter Bichsels genialer Erzählung „Amerika gibt es nicht“ * versteckt sich der kleine Hofnarr Colombin für ein paar Wochen im Wald, nachdem er überall großspurig verkündet hat, er werde als Seefahrer ein neues Land entdecken. Vor lauter Freude über sein schon nicht mehr erwartetes Wiederauftauchen tun die Leute so, als ob sie ihm das glaubten, und Amerigo Vespucci macht sich ihm zuliebe auf, dieses nur vage beschriebene, möglicherweise frei erfundene Land zu suchen. Vielleicht versteckt auch er sich nur im Wald. Jedenfalls kommt er zurück und gibt augenzwinkernd bekannt, dass es dieses Land wirklich gebe. Und später erzählen alle über Amerika immer dasselbe, was den Zweifel eines jeden vernünftigen Menschen an seiner realen Existenz nähren sollte.

Und die Vereinigten Staaten von Amerika gibt es ja tatsächlich schon lange nicht mehr. Hat sie vielleicht nie gegeben, so wie uns davon erzählt wurde. Das Land existierte vielleicht immer schon nur in überoptimistischen Fakes, Mythen und Erzählungen. Allen voran den Mythen vom Selfmade-Man, von Going West, von „Pushing the Border“, die den American Dream nährten. Wenn diese Traumgebilde zerplatzen, ist es aus mit den USA.

In Wahrheit kamen schon die ersten Siedler größtenteils bei dem Versuch um, den von puritanischer Propaganda und Armut genährten Traum zu verwirklichen. In den Westernepen scheinen diese toten Antihelden nicht auf. Später waren es die Goldgräber, die einem Traumgebilde nach ins Verderben liefen. Nach 1938 die Kriegsflüchtlinge aus Europa, welche größtenteils so arm und unglücklich starben, wie sie angekommen waren. Aber alle suchten sie das Gelobte Neue Land und keiner durfte öffentlich eingestehen, dass es das nicht gab. Und heutige Selfmade-Garagengründer-Milliardäre, die noch den alten Mythos nähren, haben sich nicht von Null hinaufgearbeitet. Ihnen stand, bevor sie sich selbst und ihre Erfolgsgeschichten erfanden, schon ein sündteures Studium und mindestens eine Garage und später Risikokapital zur Verfügung.

Deshalb ist Trump, als die bisher perfekteste Verkörperung der realitätsfernen, aber schönen Traumerzählung von „Amerika“, für dieses Land der passende Präsident. Er ist der Fake-Selfmade-Man, der Fake-Millionär, welcher täglich vom Fake-American-Dream twittert und sogar selbst noch daran glaubt. Wie Scheherezade schiebt er das tödliche Zerplatzen des Luftgebildes mit seinen Lügengeschichten grad immer noch um einen Tag hinaus, während der natürliche Zerfallsprozess grausam voranschreitet. Kein Wunder, dass seine Anhänger ihn mit dem Mut der Verzweiflung lieben. Sollte Trump abgewählt werden, werden sich die USA mit dem düsteren Pessimismus eines John Steinbeck** abfinden müssen. Ohne Trump wird die Fantasieerzählung vom „Great America“ endgültig zu begraben sein.  Was aber wird aus einem Land, das keinen „Neuen Traum“ hat?

Was dem zukunftsblinden Erwachen aus aufgeplustertem Größenwahn folgt, wissen die Österreicher seit 1918. Die Engländer werden wahrscheinlich ab 2021 vom abgelaufenen Traum des British Empire, vielleicht sogar vom kleineren eines Great Britain, in den Alptraum kippen. Alle Geschichten von unbesiegbarer Überlegenheit enden schmerzlich. Auch für jene, die selbst nicht daran glaubten und dem zerstörerischen Narrativ entgegenarbeiteten. Für sie vor allem.

*) Peter Bichsel,  Kindergeschichten, 1969.

**) John Steinbeck, The Grapes of Wrath, 1939 (Dt.:„Die Früchte des Zorns“)

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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