Lady Gaga, Jennifer Lopez, viel Pathos, zahllosen Flaggen und die redundante Beschwörung von Einheit. Das ist der abgebrühte Blick auf die Angelobung des neuen Präsidenten der USA, Joe Biden.
Dieser Blick legt dann auch offen, dass Lady Gaga, trotz insgesamt souveräner Gesangsleistung, nicht jeden Ton perfekt getroffen hat und es steht auch zur Debatte, ob Jennifer Lopez wirklich live gesungen hat.
Diese Sichtweise lässt auch erkennen, dass der vorgetragen poetische Text von Amanda Gorman bei immanent-ästhetischer Betrachtung eher gehobenes Mittelmaß war. Der gestandene Zyniker wird dann wohl auch sagen, bei eingehender Betrachtung der Rezeption ihres Auftritts, dass hier mehr die Hautfarbe denn die Qualität ihres Textes im Vordergrund stand und die euphorischen Kommentare dazu befeuerte.
Doch mit diesem Blick kommt man nicht weiter. Damit verkennt man die Situation und die Geschichte hinter dieser Inauguration. Dass Lady Gaga, nicht nur brillante Sängerin, sondern auch eine Kämpferin für die Rechte von Schwulen und Lesben, die Nationalhymne intoniert, ist eine gezielte Aussage in diese Richtung.
Die Rolle von Amanda Gorman ist ebenfalls eindeutig. Ihre Funktion bei der Angelobung reiht sich nahtlos in die verstärkte Repräsentation der schwarzen Frauen in den USA ein. Auf der Ebene der Performance, des Selbstbewusstseins und der Ausstrahlung ist ihr Auftritt makellos und verkörpert klar eine Form von „Black Excellence“.
Mit diesen Inhalten ist die Beschwörung der Einheit in der Rede des neuen Präsidenten auch keine leere Worthülse mehr. Es geht um Einheit in der Vielheit. Der Kampf, den Trump als Subtext stets führte, nämlich der Erhalt der weißen Vorherrschaft, ist damit nicht nur vorbei, sondern auch sinnlos geworden.
Im Blick ist hier eine neue USA, in der vielfältigste Menschen und deren Vielfalt zu Wort kommt und sich unter der Einheit der US-Geschichte trifft, um gemeinsame Zukunftsszenarien zu entwerfen.
Dazu wird es aber nicht nur symbolische Bekenntnisse zu dieser Vielheit und Vielfalt brauchen. Wer die USA kennt, der weiß, welche Gräben in Bezug auf Chancen vorhanden sind und wie sehr sich diese allzu oft entlang der Hautfarbe auftun. „Empowerment“ ist dazu das so wichtige Stichwort.
Zu diesem tragen nicht sozialistische Träumereien der Umverteilung bei, sondern die Ermutigung zur eigenen Exzellenz. Nicht jede Stimme soll gehört werden, sondern die brillantesten, besten und mutigsten. Damit das möglich ist, müssen strukturelle Ungleichheiten und rassistische Vorurteile aus den Köpfen der Menschen verschwinden.
Dann entsteht eine Form von „Leadership“ jenseits von Herkunft und Hautfarbe. Die besten Köpfe gründen innovative Unternehmen, übernehmen politische Verantwortung und entwerfen visionäre Szenarien für die US-Zukunft.
Das jedenfalls ist der Traum, den man nach der Angelobung von Biden träumen darf. Ob er Realität wird, wird sich zeigen.