Jeden Sonntag begrüßt das Bayrische Fernsehen seine Zuseher um 11 Uhr zum Sonntags-Stammtisch. Helmut Markwort – Herausgeber des Fokus – sowie der Karikaturist Dieter Hanitzsch und Wolgang Heckl – Generaldirektor des Deutschen Museums – treffen sich mit noch zwei weiteren, meist prominent-bayrischen Gästen, zum Weißwurst essen und Bier trinken. Heraus kommt meist ein sehr geordnetes, in bayrisch gehaltenes Gespräch an dem nicht selten Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer teilnimmt. Einen Tisch haben Jan Böhmermann und Olli Schulz auch und auch dieser wird im Fernsehen gezeigt. Allerdings auf einem anderen Sender, zu einer anderen Zeit und mit einem komplett anderem Konzept. Schulz & Böhmermann könnte die spannendste Talkshow unserer Zeit werden.
Was natürlich nicht sehr abwegig ist. Schon Roche & Böhmermann war bahnbrechend. Die Gäste konnten frei reden, es gab keine fixe Reihenfolge, wer wann Redezeit bekommt, man konnte rauchen, man durfte Alkohol trinken, es wurde gelacht und vor allem wurde die Sendung aufs Wesentliche beschnitten: das Gespräch untereinander. Das war 2012, nach zwei Staffeln und insgesamt 17 Folgen war Schluss. Charlotte Roche und Jan Böhmermann gingen getrennte Wege. Roche schrieb weiter Bücher, für Böhmermann begann der Aufstieg zum gefragtesten TV-Moderator dieser Zeit. Mit dem Neo Magazin Royale kreierte er sich seine neue Talkshow, gab Dendemann Sendezeit (danke dafür!) und bildete Meinung auf neue und eigene Art. Zuletzt agierte er als gefeierter Rapper.
Olli Schulz kommt aus Hamburg. Das betont er gerne, das bekommt man auch unfreiwillig mit. Olli Schulz ist Liedermacher, Sänger, Musiker, Moderator und bester Freund (Buddy) von Joko & Klaas, den anderen beiden Hoffnungen nach dem Abgang von Gottschalk, Schmidt und Raab. Schulz redet gern, muss deshalb auch ins Radio und hat oder hatte mit all den genannten zusammen schon eine Show. Aktuell gibt’s Sanft & Sorgfältig die er mit Böhmermann zusammen moderiert. Und weil das im Radio schon so gut klappt, gibt es jetzt die Neuauflage von Roche & Böhmermann.
Hier gibt es keine Selbstdarstellung, hier gibt es Minutenkarten
Und ja, Schulz & Böhmermann hat dasselbe Konzept wie die Vorgängersendung: ein schwarzer Tisch, Stühle für die vier Gäste und die Moderatoren, ein paar Flaschen und Getränke auf dem Tisch, Aschenbecher und dieselbe Beleuchtung. Nur der Tisch ist beleuchtet, das vorhandene Publikum, sitzt im dunkeln. Jede Sendung geht 60-Minuten, es werden vier Gäste eingeladen, die, ganz im Gegenteil zum ZDFschen Liebling Markus Lanz, sich nicht selbst darstellen können. Das sagt Böhmermann auch gleich am Anfang, er will ein Gespräch führen: „das kann gut gehen, das kann nicht gut gehen, wie in einem Gespräch eben.“ Da kann es unangenehm werden. Deshalb hat man sich ein doch sehr verwirrendes Konzept, eine Hilfestellung für die Gäste ausgedacht: Jeder Gast (inklusive der Moderatoren) bekommt zwei Karten, angelehnt ans Uno-Schema. +1 und -1 Minutenkarten. Gefällt einem Gast die letzte Minute nicht, kann er die -1 Minutenkarte spielen und die Szene wird herausgeschnitten, gefällt sie aber einem anderen, dann kann er die +1 Minute drauflegen und nichts passiert. Wenn eine +1 Minutenkarte legt, dann reden die Gäste weiter, es wird aber nicht im TV ausgestrahlt.
So weit, so kompliziert. In der ersten Ausgabe war Jörg Kachelmann zu Gast, der Wettermoderator der der Vergewaltigung beschuldigt und von Deutschlands größter Boulevardzeitung auch schon verurteilt wurde. Kollegah, der eigentlich Felix Blume heißt und einer der erfolgreichsten Rapper derzeit ist. Anika Decker, die Frau die Keinohrhasen und Zweiohrkücken geschrieben hat. Und Gerd Postel, der Hochstapler, der sich als Psychiater ausgab und deshalb ins Gefängnis musste. Vorgestellt wird jeder von Autorin Sibylle Berg aus dem Off in genau 48 Sekunden. Dort grinsen dann die Gäste in die Kamera.
Schulz reißt gerne das Gespräch an sich, er hört sich gerne reden, redet wie immer irrsinnig schnell und findet in Kollegah einen Rapverbündeten. Kollegah gefällt das Ambiente, spricht frei von der Leber, über sein Image, über die „Realness“ im Rap-Buisness, über den Häuserkauf. Postel kann wenig mit den zwei Spaßbolden anfangen, gerade Schulz‘ Fragen scheinen ihm zu schmerzen und auch dem Zuschauer tut es ein bisschen weh, wenn Olli sich auf die Vergangenheit von Postel einschießt, ihn aber zunächst nicht ausreden lässt. Der Zuschauer bekommt ein mulmiges Gefühl, aber kein unangenehmes. Es ist überhaupt erfreulich, ein Gefühl bei einer Talkshow zu empfinden.
Die Sendung lebt vom Witz und den zwei Charakteren. Olli Schulz ist der Gerade, die Quasselstrippe, die einfach spricht was sie denkt. Böhmermann ist der genauere, der überlegtere, spricht aber auch aus was er denkt und im Endeffekt ergänzen sich beide prächtig. Schulz & Böhmermann lebt vom Witz, vom Unvorhersehbarem, von der normalen Gesprächskultur, die sich erst einpendeln muss um später zu einem ganzen zusammengesetzt wird. Fünf Folgen sind schon vorab produziert worden. Das Fernsehen kann froh sein, diese Sendung wieder zu haben.
Schulz & Böhmermann läuft jeden Sonntag auf ZDFneo um 22:45
Beitragsbild: © Philippe Fromage