(c) Markus Stegmayr

Ein geschlachtetes Schwein und mögliche Mutterspracheverluste

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Spitzenkoch Max Stiegl zelebrierte am Samstag bei der Brauerei „Bierol“ und deren Taproom in der Schwoich bei Kufstein seinen „Sautanz“. Zu erleben und genießen gab es viel, unter anderem ein launiges Publikum und ein rohes Schweineherz.

7.00 Uhr früh. Max Stiegl war schon vor Ort und begrüßte die Gäste, die Zug um Zug eintrudelten, freundlich und nahbar ohne jedwede Starkoch-Allüren. Im Laufe des Tages sollten es dann um die 140 Personen sein, die dem „Sautanz“, eigentlich ein Schlachtfest alter Schule, beiwohnten.

Stiegl gab sich insgesamt fröhlich-launig. Von einem Gast befragt, was ihm bei seinem „Sautanz“ am besten gefalle, antwortet er salopp „Blöd zu reden“. Und das tat er auch ausgiebig: Der Schmäh lief bestens, die Sprüche kamen zum Teil im Stakkato. Im Zentrum aber vor allem eines: Das Handwerk. Es gab kaum einen Augenblick, in dem man Stiegl nicht zusehen konnte, wie er Speisen vom Schweinernen zubereitete. Gewissenhaft. Vertieft. Fachkundig.

Da wären etwa gewesen: Eben ein rohes Schweinherz, das er in Scheiben geschnitten seinem Publikum kredenzte. Es gab aber auch Köstliches vom Bauch, Schweineohren und zu guter Letzt am späteren Nachmittag Grammel-Chips. Das Schwein dabei, so argumentierten diese Gerichte stillschweigend und doch beredet: Überraschend vielfältig, insgesamt jedenfalls klar unterschätzt. Weit mehr als „nur“ ein potenzielles Schnitzel nach Wiener Art. Als Stichwort ist dabei „nose to tail“ so treffend wie selten sonst.

Dabei zu sein, wie Stiegl – permanent emsig beschäftigt mit Handgriffen und zugleich ganz Showman – das Schwein bearbeitete, verarbeitete und ganz natürlich alles auf die zahlreichen Teller der Anwesenden brachte, war ein regelrechtes Vergnügen. Das vor allem deshalb, weil er eine virtuose Balance zwischen Inszenierung und Bescheidenheit fand. Das verarbeitete Alpenschwein aus der nahen Gemeinde Kirchbichl – verarbeitet wurde aus amtstierärztlichen Gründen nicht das vor Ort getötete Schwein, sondern ein weiteres Schwein aus gleichem und damit allerbestem Hause – stand neben Stiegl im Mittelpunkt.

Das Argument dahinter: Radikale Regionalität ist Trumpf. Stiegl verarbeitet bei seinen Sautänzen stets Tiere aus der jeweils unmittelbaren Region. Die Themen lagen auf der Hand: Nachhaltigkeit, Tradition, Authentizität, kollektives Erleben und Erlebnis. Das Schlachtfest, so argumentierte Stiegl im Laufe des Tages mehrfach, sei ein „soziales Erlebnis“ und eigentlich das natürlichste der Welt. Früher sei so etwas auf den Bauernhöfen an der Tagesordnung gestanden.

Somit kam auch eine weitere Ebene hinzu: Die handwerkliche Kontinuität, die weder Bobo noch Hipster sein wollte. Stiegl begeht solche „Events“ also nicht um gegenwärtig und trendig zu sein – obwohl ihm ja der Zeitgeist des Veganismus ohnehin im Weg stünde – sondern weil es ihm ein Anliegen ist, das Althergebrachte in der Gegenwart zu aktualisieren und weiterleben zu lassen.

Das Publikum dankte es ihm, trank eifrig Bierol-Biere und war auch nicht um den einen oder anderen Sager verlegen, der sich bei eigener Hellhörigkeit aufschnappen ließ. „Der Sautanz endet mit dem Verlust der Muttersprache“, meinte ein männlicher Besucher, während ein anderer Besucher Pinguinen – wie von Stiegl in einem Dialog behauptet – die Monogamie gänzlich absprach. „Pinguine sind die größten Dreckschweine“, meinte dieser.

So verging heiter und höchst kulinarisch der ganze Tag, der weder mit tatsächlichen Mutterspracheverluste endete noch sich exzessiv bis in die späten Nachstunden erstreckte. Die Dämmerung brach herein, es wurde zunehmend ganz dunkel, Stiegl & Co. packten gegen 17.30 Uhr ihre Sache und machten sich langsam wieder auf. Der nächste „Sautanz“ anderswo wartete womöglich schon.

Auch „Bierol“ selbst stellte die Ausschank dann alsbald ein: Alle hatten sichtlich genug. Aber nicht vom Bier und vom Schwein, sondern genug genossen, genug erlebt, genug Themen, die erst einmal ausgiebig verarbeitet und reflektiert werden wollten.

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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