Flüchtlingsbetreuung in Innsbruck: Eine tragische Reise in das Reich des Dilettantismus

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II. Flüchtlinge sind mehr oder weniger zum Nichtstun verdonnert und harren, besonders in der Tennishalle, in einem Stadium des permanenten Wartens aus. Sie haben kaum soziale Kontakte, keine Freizeitbeschäftigungen und kennen sich in Innsbruck zunächst nicht aus. Dazu fehlt es ihnen meist am Nötigsten. Mohammed, ein Flüchtling aus dem Nordirak, erzählte mir, dass er seit einem Monat dieselbe Hose trägt. Besonders Schuhe, Unterwäsche, Socken, Jacken, Winterkleidung, Zahnbürsten und andere Hygieneartikel sind absolute Mangelwahre.
In der Tennishalle gibt es aber zum Glück viele Initiativen von Privatpersonen, die sich die Zeit nehmen und die Lage von Flüchtlingen verbessern. So halten Freiwillige aller Altersgruppen täglich Deutschkurse für Flüchtlinge ab. Diese Initiative geht auf Kathrin Heis zurück, sie ist eine der Köpfe hinter der Facebookseite „Flüchtlinge Willkommen in Tirol“ und Grüne Gemeinderätin in Innsbruck. Die Gruppe möchte neben den Deutschkursen – die grundsätzlich jede/r abhalten, und für die immer Leute gesucht werden – ein Buddy-Programm starten, bei dem ein Innsbrucker für Flüchtling da ist, mit ihm ab und zu etwas Zeit zu verbringt, einmal wandern geht oder ins Kino. Ferne Ideen gibt es auch, wie ein Begegnungsfest, was aber vor allem am Zeitfaktor scheitert, und nicht an Kathrins Enthusiasmus. Dann gibt es noch Florian Kahn, der vor rund zwei Wochen für Flüchtlinge einen Besuch bei einem Wacker-Spiel organisiert hat und eine Gruppe rund um Mesut Onay, die mit Flüchtlingen Picknicken gehen. Sie seien hier stellvertretend für viele genannt, deren Arbeit immens wichtig ist, weil sie die mangelnde Bereitschaft der öffentlichen Hand zu kompensieren versuchen.
Ich behaupte aber, dass wir, wenn wir uns freuen, dass es Menschen wie Florian, Katrin und Mesut gibt, uns unbewusst schon damit abgefunden haben, dass es gar nicht anders ginge. Wir nehmen an, dass es dazu solche freiwilligen Kräfte braucht, und freuen uns, dass es sie gibt. Es braucht sie, weil sich die öffentliche Hand für nicht zuständig hält, auch für das soziale Leben und eine gewisse materielle Grundausstattung verantwortlich zu sein. Das ist meiner Meinung nach sehr fragwürdig und ein gutes Beispiel für den strukturellen Rassismus unserer Gesellschaft. Jedes Kind, das ein wenig lispelt, bekommt Einzelstunden bei einer Logopädin, und das soll natürlich so sein. Aber warum haben andere Menschen keinen Anspruch darauf, überhaupt Deutsch zu lernen? Wieso sollen ein paar Hosen oder Schuhe für die eine Gruppe klarerweise da sein, und für die andere Gruppe sind sie schon Luxusgüter? Warum entlässt man den Staat und die Gemeinden hier aus ihrer Verantwortung?
Der Schritt aus der Verantwortung wurde mit der Privatisierung der Flüchtlingsbetreuung vollzogen. Seit über zehn Jahren wird etwa das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen nicht mehr von karitativen NGOs betrieben, sondern von Firmen, die auf Gewinn ausgerichtet sind. Schon bei der Vorgängerfirma European Homecare waren unwürdige Zustände bekannt, auch von der aktuellen Betreibergesellschaft ORS weiß man dank eines Undercovervideos, dass beim Essen, bei den Sanitäranlagen und bei der medizinischen Versorgung im Übermaß gespart wird. Aber wenn Menschen zu Waren werden, wen interessiert dann solche Dinge wie, ob sie Deutsch lernen oder eine professionelle Betreuung haben, die ihnen eine für unsere Maßstäbe schöne Freizeitgestaltung ermöglicht? Wer kümmert sich ernsthaft darum, dass die Bedürfnisse dieser Menschen über ein absolutes Mindestmaß hinaus befriedigt werden, und zwar nicht beruhend auf Freiwilligkeit und damit verbindlich?
Sicher wäre es allgemein betrachtet unfair, Traiskirchen und die Tennishalle miteinander zu vergleichen. Achmed, ein Flüchtling, der zehn Tage in Traiskirchen ohne Dach über dem Kopf schlafen musste, betont, wie sehr es ihm in der Tennishalle gefällt: „Das Bett ist weich, das Essen ist gut, die Leute in meiner Wohnung (die bereits beschriebene abgetrennte Schlafabteil, Anm.) sind sehr nett“. Doch ein Problem, das von der Bloggerin Madeleine Alizadeh alias Dariadaria im Bezug auf Traiskirchen ausführlich beschrieben wurde, stellt sich in Innsbruck sehr ähnlich dar, einfach weil es strukturell bedingt ist: Indem es keine zentral verwaltete Stelle gibt, die sich um allgemeine Belange von Flüchtlingen kümmert, kommen Sachspenden der Bevölkerung nicht immer dort an, wo sie hin sollten.
In der Tennishalle gibt es zwar eine Stelle, an der Spenden abgegeben werden können; doch muss man, um dorthin zu gelangen, am gesamten Gebäudekomplex entlang gehen. Mein Mitbewohner hat nun, um den Flüchtlingen zu helfen, aus seinem Kleiderschrank einige schöne Stücke gesammelt und dazu noch vierzig Zahnbürsten und Schokolade gekauft. Mit all diesen Sachen ging er dann zur Tennishalle. Je näher er seinem Zielort kam, desto mehr Flüchtlinge begleiteten ihn, um als erste diese Sachen zu bekommen, bis er auf halben Weg stehen bleiben musste, weil er nicht mehr weiter kam. Er dachte sich dann, na gut, ich kann ja die Sache auch gleich verteilen. Nur sind die Flüchtlinge so arm, dass sie alles nehmen, egal, ob sie es brauchen oder nicht. Ein Flüchtling nahm so den Sack mit allen 40 Zahnbürsten auf einmal. Wenn eine zentrale Verteilung fehlt, zieht das Recht des Stärkeren ein. Das ist aber meist das Gegenteil von Gerechtigkeit, und ob die Spenden dann ankommen, bleibt fraglich.
Der Undercover-Filmer von Traiskirchen, Markus S. beschreibt, dass dort ein regelrechter Schwarzmarkt auf dem Gelände existiert, auf dem Flüchtlinge gehortete Spenden an andere Flüchtlinge veräußern. Davon sind wir in Innsbruck zwar noch weit weg, aber die Tatsache, dass der Verein für Obdachlose, der eigentlich eine ganz andere Klientel bedienen muss, das Café Welis und viele andere Vereine und Einrichtungen nun private Spenden entgegen nehmen und die Verteilung koordinieren zeigt, wie arg die Lage ist. Die Geschichte meines Mitbewohners zeigt auch, dass das Versagen der Öffentlichen Hand, Flüchtlinge mit dem Notwendigsten zu versorgen, von Privatpersonen nur sehr schwer kompensiert werden kann, weil keine Koordination der Hilfe erfolgt. Nicht nur, dass Deutschkurse von Laien nicht so gut sein können wie von Professionellen, braucht es den Staat auch unter Flüchtlingen als die Instanz, die das Recht des Stärkeren ersetzt und die Schwächeren unterstützt.
(Eine Anmerkung: Nachdem die Tiroler Tageszeitung am 31.8. genau denselben Punkt kritisierte, veröffentlichte das Land eilig am selben Tag via Facebook eine Liste aller Einrichtungen mitsamt Kontaktdaten. Immerhin ein Anfang).

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