Bild © Dargaud/Claire Bretécher
Teresa von Ávila, die radikale Mystikerin mit ihrem unabhängigen Geist, kennt in dieser Hinsicht wenig Duldsamkeit. „Wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn, wenn Fasten, dann Fasten“, soll sie gesagt haben. Es gibt klare Zeiten für Genuss und klare Zeiten für Verzicht. Das hat sich gehalten, sogar unter den Leuten, die gleich nach dem 18. Geburtstag mit der Gier der rechtschaffenen Aufgeklärten aus der Kirche ausgetreten sind. Das mit dem Fasten ist eh kein neuer Trend, aber er wird zunehmend massentauglich, scheint’s. Trotzdem ist es irgendwie unzeitgemäß.
„Rebhuhn“ können wir naturgemäß ziemlich gut und sogar jedes Jahr ein wenig besser, wie’s scheint. Aber das „Fasten“ müssen wir immer wieder von Neuem üben, weil die neuronalen Autobahnen im Gehirn die Landschaft unserer Handlungsmöglichkeiten aufgefressen haben.
Aber geht schon. Das Fasten hat auch seine schönen Seiten. So ein bissl Alkoholabstinenz zu Frühjahrsbeginn zeitigt ja auch viele angenehme Folgen, und von den geilen Blutwerten und dem Gewichtsverlust mal abgesehen, ist es auch eine besondere Lust – ein besonderer Genuss – sich selbst zu beherrschen. Vielleicht der größte Genuss von allen? Und das immer im Bewusstsein, dass man sich damit das Recht auf den nächsten Exzess erkauft?
Denn das gehört doch zum Konzept wie das Amen in der Kirche: Auf den Exzess folgt die Buße, und dann kann man sich, mit geläutertem Selbstbild und geläuterter Leber, wieder dem Rebhuhn hingeben. Aber ich frage mich, ist es wirklich der Genuss, dem wir uns hingeben. Die westliche Gesellschaft ist ja eine Konsumgesellschaft, viel eher als sie eine Genussgesellschaft. Dinge, die zu anderen Zeiten und in anderen Kulturen ritualisiert waren und zelebriert wurden, die etwas „Heiliges“ an sich hatten, sind hier und heute schmerzhaft profan.
Anstatt gemeinsam die Friedenspfeife zu rauchen, steht man in regelmäßigen Abständen einsam und frierend im versifften Hinterhof, um die nötige Stimmungstschick runterzuziehen. Anstatt sich gepflegt und in aller Ruhe zu betrinken und langsam in einen schummrigeren Gemütszustand zu kommen, kippt man in rascher Folge fünf Kurze und versucht dann verzweifelt, sich zu verlieren (was in der Regel nicht gelingt). Anstatt sich einander in echter Nähe hinzugeben, gibt man sich nach der Arbeit ein paar Entspannungspornos.
Und anstatt mit anderen gemeinsam zu kochen und zu essen – auch das ist ist ein wichtiges, wenn auch alltägliches Ritual – haut man sich dem Porno eine ordentliche Tiefkühllasagne rein.
Davon kann man sich geschmacklich und gedanklich schon ein bisschen überfordert fühlen. Und dann braucht es eine schöne Auszeit zur Entschlackung auf allen Ebenen. Ob das hilft? Keine Ahnung. Wenn wir in sieben Wochen wieder gleich weiter machen wie vorher – dann wohl eher nicht.
Man kann Teresa aber auch anders verstehen. „Wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn, wenn Fasten, dann Fasten“ kann auch bedeuten: Sei bei dem, was du machst! Sei dir darüber im Klaren, warum du es machst! Mach es als ganzer Mensch, ohne dass die eine Hälfte die andere beherrscht! Und wenn du fastest, dann denk nicht die ganze Zeit ans Rebhuhn und daran, dass du es eh bald überstanden hast. Wenn man dem Verzicht intrinsisch nichts abgewinnen kann, sollte man es besser bleiben lassen.
Und vielleicht ist das, was wir wirklich brauchen, auch nicht Alkohol- oder sonstige Genussmittelabstinenz. Vielleicht könnten wir diese katholischen Überreste in unserer Alltagskultur als Möglichkeit sehen, die Peitsche mal niederzulegen, mit der wir uns selbst und alle anderen in permanenter Selbstbeherrschung durch ebenjenen Alltag treiben.
Ein bisschen Hektikabstinenz wär’ nicht schlecht – denn seien wir uns ehrlich, auch die Hektik ist etwas, das wir in der Regel ziemlich geil finden. Und kontemplative Ruhe ist relativ schwer zu ertragen, zumindest bis es einen neuronalen Trampelpfad durch das Dickicht unserer unerfüllten Sehnsüchte gibt. Aber ohne die Ruhe ist uns das Dickicht gar nicht zugänglich. Ja, und genau dann wir der Konsum zum Genussersatz.
Wenn ich mich jetzt also in die spärliche Sonne setze und in aller Ruhe und Gemütlichkeit meine Mittagszigarette rauche, werde ich ein wenig darüber kontemplieren. Das wird mir schwer fallen. Aber ich möchte eine Weile auf die Peitsche verzichten. Und ich werde es so zelebrieren, also würde ich die Friedenspfeife rauchen.