Um eines gleich von Anfang an klarzustellen: Es geht hier nicht um das
Corona-Virus, um Pandemie oder auch nicht, es geht auch nicht um Gesetze,
Verordnungen oder sonstige Maßnahmen, die in diesem Zusammenhang
erlassen beziehungsweise verordnet werden – oder auch nicht. Ich werde
mich hüten, in diese Debatte zu waten. Sie ist nämlich nicht nur fruchtlos,
sondern inzwischen auch schon ziemlich öde.
Zugegeben: Es wird um die unbeliebte Maske gehen, den Mund-NasenSchutz (MNS); doch was der werte Leser oder die geschätzte Leserin von dieser Maske halten – oder auch nicht –, das spielt hier keine Rolle. Dafür oder dagegen, sinnvoll oder sinnlos: völlig belanglos.
Hier geht’s um etwas anderes. Gegen den Mund-Nasen-Schutz wird unter
anderem auch mit folgendem Argument protestiert: Die Pflicht, eine Maske
zu tragen, schränke die Freiheit des Einzelnen ein, sei somit unvereinbar mit den Prinzipien einer liberalen Demokratie; zusammen mit anderen
verordneten Maßnahmen gefährde sie diese sogar.
Und da, bei dem Wörtchen liberal, möchte ich doch Einspruch erheben.
So, wie ich den Liberalismus verstehe – mit beschränkter Belesenheit und
Auffassungsgabe, zugegeben, besonders im Vergleich zu unseren Konträren
–, so wie ich also den Liberalismus verstehe, gibt es eine solche
Unvereinbarkeit nicht. Eher im Gegenteil.
Gewiss, das grundlegende Prinzip des Liberalismus besagt, dass niemand
legitimerweise gezwungen werden könne, etwas zu tun oder zu unterlassen, nur weil es für ihn besser ist, weil es ihn glücklicher macht, weil es nach der Meinung anderer weise oder gar richtig wäre. So zumindest der Klassiker des Liberalismus, John Stuart Mill (1806–73), in seinem Essay „On Liberty“. Das einzige, was wir in einem solchen Falle tun können, das sei ermahnen, argumentieren, überreden oder vielleicht beschwören. Aber Zwang, womöglich sogar Strafen – nein!
Bloß braucht man nicht lange mit einem Liberalen zu diskutieren, bis der
abgedroschene Standard-Satz daherkommt: Meine Freiheit endet da, wo die
Rechte des anderen anfangen. Ich will jetzt nicht drauf herumreiten, dass
dieser Satz eigentlich sinnlos ist: Denn gerade in städtischen Ballungsräumen leben wir heute so dicht beisammen, dass praktisch jede Freiheit, die ich mir nehme, irgend jemand anderes Rechte verletzt. Weswegen das Prinzip gerne in drastischere Worte gekleidet wird, vorzüglich jene von Oliver Wendell Holmes: „The right to swing my fist ends where the other man’s nose begins“ – das Recht, meine Fäuste zu schwingen, endet dort, wo die Nase des anderen beginnt. In der Praxis ist das zwar auch nicht gerade erhellend, ironischerweise passt es aber gerade auf die Frage der Maskenpflicht haargenau.
Wir müssen uns in Erinnerung rufen, dass die Maske vorwiegend dem
Schutze anderer dient, nicht unserem eigenen. Zumindest entnehme ich das
den weitaus überwiegenden Äußerungen von Wissenschaftlern. (Ich weiß
schon, liebe Konträre, ich weiß schon…) Sie soll verhindern, dass wir beim
Atmen, Husten oder Niesen Bakterien und Viren in die Welt und somit
anderen Menschen ins Gesicht schießen. Wenn dem aber so ist, oder wenn
dem bloß so sein könnte, dann geht es eben nicht um das jeweilige Individuum selbst. Es geht um den Schutz anderer, in letzter Konsequenz der Gemeinschaft (schließlich haben wir’s mit einer Seuche zu tun). Und da – hört, hört! – da gelten, immer laut John Stuart Mill, andere Gesetze:
„Um dies“, nämlich Zwang und Strafe, „zu rechtfertigen, muss das
Verhalten, von dem man abschrecken will, derart sein, dass es bei einem
anderen Schaden hervorruft. Die einzigen Verhaltensweisen, für die das
Individuum der Gesellschaft gegenüber verantwortlich ist, sind jene, welche andere berühren.“ Und in so einem Falle ist tatsächlich „die Gesellschaft“ zuständig. Was meiner bescheidenen Meinung nach letztlich nur heißen kann: der Staat.
Was die notorische Maskenpflicht angeht, sollte die Sachlage somit
ausnahmsweise einmal klar sein: Sie schützt andere. Deshalb hat „die Gesellschaft“ (der Staat) das Recht, das Tragen einer Maske anzuordnen und allenfalls Strafen zu verhängen. Von einer Einschränkung der Freiheit, einer Gefahr für den Liberalismus kann keine Rede sein: Denn mein Recht,
Bakterien und Viren in die Luft zu niesen, endet an den Nasenlöchern
meines Gegenübers. So gesehen, bestünde sogar eine moralische Pflicht, die
Maske zu tragen, zumindest dann, wenn man als einigermaßen zivilisiertes,
rücksichtsvolles Mitglied unserer Gesellschaft gelten will.
Womit sich natürlich nicht das Geringste ändern wird, nicht im wirklichen
Leben. So, wie ich die überwiegende Mehrheit der Maskenmuffel einschätze, werden sie diese (oder ähnliche) Zeilen gar nicht lesen, und wenn, dann sind sie an solchen Überlegungen nicht im Geringsten interessiert. Aber wenigstens – so wünscht man sich als geplagter Leser – aber wenigstens in unseren Reihen, im Kommentariat könnten wir aufhören, so unbedacht von Freiheit und von liberal zu reden.
Die Zitate stammen aus dem Essay „On Liberty“ von John Stuart Mill, hier zit. nach der Ausgabe der Oxford Univerity Press (Óxford, 1998). Die Übersetzung stammt von mir selbst unter Zuhilfenahme von DeepL Übersetzer.