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Wann ist der richtige Zeitpunkt, über die Herren Karl und Kurt zu schreiben?

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Eigentlich wollte ich hier anlässlich des Holocaust-Gedenktages über den Herrn Karl und den Herrn Kurt schreiben, diese genuin österreichischen Exponenten des Mitläufertums, und darüber, weshalb dieser Typus allerorten immer noch fröhlich weiterlebt.

Ich wollte davon schreiben, wie eine einmal gewählte Regierung Gesetze gegen ihnen missliebige Menschen fortlaufend verschärfen und mittels breitangelegter Propaganda diese Gruppierung derart denunzieren kann, dass schließlich jeder Karl und jeder Kurt sich guten Gewissens und völlig rechtskonform gegen diese Menschen stellen, sie verunglimpfen, verfolgen, quälen, ja sie im Extremfall letztlich sogar töten darf.

Ich wollte beschreiben, wie ein zum Faschismus neigendes Regime von Anfang an jede Gelegenheit nützt, jene Ämter, welche mit diesen zu eliminierenden Menschen zu tun haben, unter dem Vorwand einer Notsituation mit gleichgesinnten oder unbedarften Beamten zu besetzen, welche dann garantiert die im Sinne der Regierung richtigen – natürlich inzwischen gesetzeskonformen – Maßnahmen setzen, während andersdenkende, altgediente und eigenständig denkende Beamte sich angesichts der verschärften Gesetzeslage verzweifelt zurückziehen oder hinausgemobbt werden.

Auch wollte ich darauf hinweisen, dass alle – inzwischen gesetzeskonformen –Verfolgungsmaßnahmen unter einer solchen Regierung, sobald sie einmal Fuß gefasst hat, von der breiten Bevölkerung als rechtmäßig und notwendig anerkannt und unterstützt werden, dass Gegner überschießender Maßnahmen als Träumer, Gutmenschen oder Feinde der Rechtsordnung verunglimpft und zermürbt werden, sodass sich am Ende die Mehrheit hinter der inhumanen Politik versammelt und sich Kurt und Karl nicht nur im Recht, sondern auch in der Mehrheit fühlen dürfen.

Ich wollte schreiben, dass das „Niemals vergessen!“ nicht nur Konzentrationslager und Gaskammern umfasst, sondern dass man ungewollte Gruppen auf vielerlei Art töten kann. Zum Beispiel, indem man ihr Bekenntnis einfach nicht ernst nimmt, egal was der sie begleitende Pfarrer dazu sagt, und sie in Länder zurückschiebt, in denen das Regime die Konversion garantiert todernst nimmt. Oder indem man Menschen in ihre sogenannten Heimatländer zurückverfrachtet, aus denen sie – oftmals als dort bereits Zugewanderte — rechtlos und aller Chancen beraubt waren, weshalb sie ja dann weiter fortgezogen sind.

Man kann Männer, Frauen und Kinder auch in Schnee und Gatsch in bosnischen und griechischen Zeltlagern an Kälte und Krankheiten verrecken lassen. Das alles ist hierzulande gänzlich rechtskonform und Kurt und Karl müssen sich nicht einmal ihre Hände schmutzig machen. Das tun nun andere, denen man das auch noch selbstgerecht vorwerfen darf. Man kann so unbehelligt von all dem Elend sein Mitleid und seine „Hilfe vor Ort“ zelebrieren und sich gut dabei fühlen. Kurt und Karl waren vor Jahrzehnten auch immer anderswo, hörten nur von fern von den Nazigreueln, hatten ebenfalls Mitleid mit den armen Verfolgten, konnten leider nichts dagegen tun. Sie waren ja unpolitisch, verstanden zu wenig, hatten andere Sorgen, wollten mit der Politik nichts zu tun haben, für die Gesetze waren schließlich die da oben zuständig, taten halt ihre Pflicht und wählten ab und zu den mit dem netten G´schau aus blauen Augen oder jenen mit den großartigsten Gesten, der ihnen das Blaue vom Himmel versprach. Wie hätten sie jemals ahnen können, dass dann sowas …?

Und zuletzt wollte ich in meinem Text auch noch erwähnen, dass in Österreich inzwischen mehr als die Hälfte der Bevölkerung die brutale Flüchtlingspolitik unserer Regierung unterstützt und diese für rechtskonform hält, obwohl viele einschlägige Verordnungen und Gesetzesverschärfungen und etliches in der Gesetzesanwendung übergeordneten internationalen — in unserer österreichischen Verfassung rechtlich verankerten — Grundsätzen widerspricht.

Aber ich kann diesen Text nun angesichts des gerade medial virulenten „Einzelfalles“ einer Abschiebung, der nur einer von tausend ganz unterschiedlich gelagerten Einzelfällen ist, nicht schreiben, denn ich schreibe nicht gerne im Mainstream der Erregung und ich kenne auch die Umstände dieses Falles nicht wirklich – im Gegensatz zu den ca. 50 tragischen Einzelfällen, die ich in den vergangenen fünf Jahren persönlich miterleben musste und welche zu schildern ich und andere direkt Involvierte nie den Raum für die Leser namens Kurt und Karl fanden.

So schweigt man halt auch irgendwann oder schreit sich gegen Wände heiser und sieht hilflos zu, wie die Kurts und Karls für die nächsten tausend Jahre ihre ganz unpolitische, unschuldig grausame Mehrheit festigen.

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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