Wenn es ein Problem gibt, gründet die Mittelschicht einen runden Tisch, während die Unterschicht sich mit den Postings auf Sozialmedia herumschlägt. In beiden Fällen soll das Problem zumindest verbal gemildert werden, wenn es sich schon nicht beseitigen lässt.
Oft ist ein Problem ja schon gelöst, wenn es gegendert wird. Denn meist handelt es sich um eine diffuse Gefühlslage, der man durch möglichst viel Nutzung der grammatikalischen Geschlechtsteile beikommt.
Der Oberschicht machen übrigens Probleme gar nichts, denn sie hat ja das Geld, um sich die entsprechenden Störungen des Glücks vom Hals zu schaffen.
Dieser Tage ereignete sich am Suezkanal eine Katastrophe, die flugs als größter Stau der Weltgeschichte in die Annalen des Netzes Eingang findet.
Ein Containerschiff frisst sich wie ein gigantischer Dübel an die Seitenwände des ägyptischen Kanals und beendet durch diese kluge Querlage jeglichen Verkehr. Sechs Tage lang hält die Welt den Atem an.
Plötzlich ist nicht nur das Schiff selbst eingeklemmt, sondern auch die Bevölkerungsmassen in China und Europa sind es. Bis in die kleinsten Haushalte hinein drängt sich der Konsumstau. In einem Ranking eingeklemmter Sachen kommen etwa Konsolen, Ikea-Möbel und Schafe vor. Diese gelten während des Transports als Konsumgüter, was die Tierschützer verzweifeln lässt, stirbt doch gerade zu Ostern das Lamm wieder einmal einen erbärmlichen Tod.
Als die Konsumenten der Unterschicht bemerken, dass sie es sind, die gerade massig vom Massenkonsum ausgeschlossen werden, gründen sie allerhand Diskussionsforen, auf denen man sich gegenseitig mit Häme vorhalten kann, wer gerade etwas noch Sinnloseres im Suezkanal liegen hat.
Am runden Tisch der Mittelstands-Bachelors wird hingegen diskutiert, ob die Psychologenschaft das Problem der verklemmten Konsumgüter auf Krankenschein behandeln soll.
Immer öfter tauchen nämlich Jugendliche ohne Krankenversicherung bei den Psychologen auf und setzen sich ein Messer an Schläfe oder Pulsader. Sie drohen mit knallhartem Suizid, wenn ihnen nicht sofort jene Konsumgüter zugestellt werden, die sie im Netz bestellt haben.
Manche dieser Online-Kids sind bereits so verstört, dass sie nicht mehr mit der angesteuerten Psychologin in ganzen Sätzen reden können. Diese Bedauernswerten zeigen dann einfach auf das nächstbeste Display, über das sie ihren persönlichen Influenzer abspielen. Dieser lässt das Ende offen, also bevor der Tod am Bildschirm eintritt, wird der Clip abgebrochen.
Das erklärt, warum diese Suizid-Influenzer ständig neue Clips drehen müssen: sie kriegen nämlich einfach die angedeuteten Botschaften nie fertig.
Der runde Tisch geht übrigens ohne eine Lösung für die Psychologenschaft auseinander und empfiehlt die Gründung eines „Vereins für eingeklemmte Schiffsgüter“.
Vor fünfzig Jahren hat es schon einmal einen schweren Fall von Eingeklemmt in Tirol gegeben. Damals reüssierte ein potentieller Jesusdarsteller mit religiösen Gedichten und trank sich dabei zu Tode. Tatsächlich starb er im gleichen Alter wie Jesus. Sein berühmter Lyrikband nannte sich schlicht „eingeklemmt“. Darin steht das berührende Motto jeder Zeit: „Wir sind überhaupt eine recht eingeklemmte Generation, vorne geht es nicht weiter und von hinten werden wir weitergeschoben.“ Dieses Bild aus der Verdauungskultur machte vor allem in Südtirol Furore, so dass heute noch manche Schule nach dem Eingeklemmt-Dichter den Namen „norbert c. kaser“ trägt.
STICHPUNKT 21|25, geschrieben am 29.03. 2021