„Sitz! Platz!“ Ungläubig schaut mich mein Hund an, wenn ich ihn an der falschen Stelle zum Niedersitzen zwinge. Sein Hundegesicht sagt „Äh?“ — ähnlich wie Ursula von der Leyen, wenn in einem riesigen Diktatorenpalast für drei Personen nur zwei Stühle dastehen –, setzt sich dann aber ebenso widerstrebend doch nieder. Hunde und Frauen machen eben Platz, wenn das Herrl befiehlt. Man war ja früher schon bei wichtigen Versammlungen am Katzentisch untergebracht, das hieß damals „Damenprogramm“. Während die Herren das Weltbewegende besprachen, machten die Frauen in Nebenzimmern leere Konversation oder wurden mittels „Kulturprogramm“ dezent aus dem Weg geräumt.
Dass solche Erniedrigung auch jenen Frauen passiert, welche mit allen Insignien der Macht ausgestattet sind, erschreckt allerdings. So musste sich Angela Merkel von Putins großen Hunden beschnüffeln und von einer bayrischen XXL-Untergröße auf offener Bühne brüskieren lassen. Und in Österreich werden Ministerinnen und weibliche Vorstände nach dem Grad ihrer Fügsamkeit in hohe Ämter bestellt. Auch weibliche Parteivorsitzende werden mit Vorliebe von Möchtegern-Landesgranden brüskiert. Diese fühlen sich dabei dann so richtig stark. Europa war schon im Mythos eine Frau und sie wird seit Urzeiten als solche gedemütigt, mal mehr, mal weniger subtil, und im Anschluss wird die Demütigung kaschiert, mal von Zeus, mal von anderen Patriarchen.
Zunehmend wird es allerdings wieder weniger subtil gehandhabt. Jedes Kind kennt doch schon vom Märchenbuch den Trick mit dem erhöhten Thronsessel. Wer davor, egal ob auf einem Stockerl oder einer weichen Couch versackt, ist das arme Würstel. So hat ein abgewirtschafteter Diktator gerade ganz Europa in ihrer ranghöchsten Repräsentantin gedemütigt und mindestens die Hälfte der EU, nämlich deren Frauen, gezielt beleidigt. Dabei wäre es ganz einfach gewesen, das zu verhindern, Protokoll hin, Protokoll her. Vom Gastgeber, der die Istanbuler Konvention zum Schutz der Frauenrechte in seinem Land gerade aufgekündigt hat, war ja nichts anderes zu erwarten. Vom EU-Ratspräsidenten Charles Michel sehr wohl. Wäre dieser Herr (egal wie Macho) ein Kavalier der alten Schule gewesen, hätte er der Dame den Stuhl angeboten und sich demonstrativ auf die Couch gesetzt. Das wäre eine herrliche Niederlage für den Gastgeber gewesen und man hätte garantiert sofort noch irgendwo einen Sessel für ihn aufgetrieben. Aber auch das EU-Alphamännchen besaß weder die Höflichkeit noch die Geistesgegenwart noch den Mut dazu.
Oder hätte sich das Alphaweibchen nicht so brav in ihr Schicksal gefügt, sondern wäre demonstrativ stehen geblieben. Vielleicht auch diplomatisch: „Entschuldige, lieber Charles, aber meine Bandscheiben — du weißt schon …!“ Und nicht sie, sondern der Gastgeber hätte sich in Grund und Boden schämen müssen und man hätte ganz schnell dem Protokollchef eine Rüge wegen des Fehlers erteilt. Doch auch das Alphaweibchen besaß weder den nötigen Mut noch die erforderliche Geistesgegenwart.
Fazit: Seit uns Männer nicht mehr höflich den Vortritt lassen und die Türen aufhalten, sondern voranrennen und uns diese vor lauter Gleichberechtigung ins Gesicht clashen, müssen Frauen, und besonders jene, die es in der Hierarchie bis nach oben geschafft haben, auf solche protokollarischen „Zufälle“ vorbereitet sein und reagieren lernen. Sich aufs „Inhaltliche“ zu konzentrieren und die Machtspielchen großzügig zu übersehen, funktioniert in einer Welt, die hauptsächlich aus Machtspielchen vor Kameras besteht, nicht. Und wir Bürger:innen, die wir diese Frauen als unsere Vertreterinnen gewählt haben, dürfen uns nicht damit zufriedengeben, wenn anschließend Betamännchen erklären, dass man leider die Sitzordnung protokollarisch nicht vorher geregelt habe und deshalb eigentlich gar kein Affront stattgefunden habe. Wir alle wurden in unserer Vertreterin gedemütigt, das lässt sich nicht schönreden.
Was man tun könnte, um in Zukunft derart peinliche Eklats zu vermeiden: Noch mehr Frauen in hohe Ämter wählen, weil sie immerhin einen Funken Höflichkeit besitzen und offensichtlich inhaltlich fokussiert sind.
Ich schlage auch vor, beim nächsten Staatsbesuch Herrn Erdoğan eine extra weiche Couch zuzuweisen und mitzufilmen, wie er darin versinkt oder sich mit einem „Äh?“ zornig wieder herauskämpft. Weitere Ideen werden gerne entgegengenommen unter dem bereits viralen Hashtag #GiveHerASeat .
Aber natürlich ist auch denkbar, dass man in der türkischen Herrschaftsresidenz keine vier Stühle mehr besitzt. Das wäre bei der desolaten Wirtschaftslage durch Missmanagement und Korruption durchaus plausibel. Dann könnte man Herrn Erdoğan als Gastgeschenk oder als Kompensation für die großzügige Aufnahme von Flüchtlingen demnächst einen Konferenztisch mit 20 feinen Stühlen mitbringen. Vielleicht finden sich sogar mildtätige Spender, die ihm für seinen leeren Palast welche schicken, unter dem noch zu erstellenden Hashtag #GiveHimASeat?
Und noch ein Vorschlag für einen Hashtag: #KeinTürkeiurlaubOhneSessel.