Österreich ist ein familienfreundliches Land. Familienpolitik wird großgeschrieben. Auch im halbstaatlichen Bereich, beim ORF oder in der Museumslandschaft, werden Familien gefördert. Wenn bestimmte Namen oder Adelstitel gehäuft auftauchen, kann das aber natürlich auch irgendwelchen zufällig in einzelnen Familien vererbten oder erworbenen Spezialbegabungen geschuldet sein.
Überhöhter Familiensinn war ja eigentlich immer etwas, das eher Gesellschaften östlich des Balkans zugeschrieben wurde. Das jüngste Beispiel aus dieser Weltgegend liefert wieder einmal Herr Erdoğan, der fühlt, dass Frauen doch nicht die vollen Menschenrechte zugestanden werden sollten, „um die Familie nicht zu gefährden“. Frauen werden aufgrund dieser Ansicht – nicht nur dort –, wenn sie die Familie durch zu viel Eigenständigkeit gefährden, ab und zu umgebracht. Dieses Opfer muss man (gemeint ist: frau) für den Erhalt der Familie einfach bringen.
Und dann gibt es auch noch den vorwiegend ökonomisch definierten Familiensinn, der ebenfalls neuerlich Konjunktur hat. In einer solchen Großfamilie gehört jedermann (weniger: jederfrau) bis ins x-te Glied zu einer lebenslang verschworenen Gemeinschaft, aber nur dann, wenn man einander nützlich ist. Politische Potentaten wie Herr Erdoğan legen auch aus diesem Grund so viel Wert auf Familie, weil sie ohne diese Probleme hätten, ihre vom Staat gestohlenen Millionen zu verwalten. Bluts- und Parteiverwandte sind halt die einzigen, auf die man sich bei dunklen Geschäften verlassen kann.
Zwischen türkischem und türkis-österreichischem Familiensinn liegen jetzt offenbar nur noch zwei Buchstaben. Damit das Staatsvermögen der ÖBAG in der „Familie“ bleibt, haben sich manche Regierungsmitglieder sehr angestrengt. Es wird in zwei Sätzen auf den Punkt gebracht, wenn einer dem anderen simst: „Du bist Familie“ (plus 3×3 Herzerln) und sechs Minuten später nachlegt: „Und wir alle brauchen dich!!!“ (Blümel an Schmid am 1.2. 2019) „Wir alle“ meint hier natürlich nicht Herrn und Frau Österreicher, sondern die Clanmitglieder, die einander Gewinne türkis(ch) zuteilen. Und bei den Freiheitlichen ist man beim Wiener Parteitag nun ebenfalls auf den erfolgversprechenden Begriff aufgesprungen, indem Klubobmann Kickl die „Freiheitliche Familie“ auf Gefolgschaft einschwor. Wie immer ist die FPÖ sehr alert, wenn sich eine Phrase als nützlich erweist, und ein guter Gradmesser dafür, was gerade en vogue und Gewinn versprechend ist.
Jahrzehntelang hat man uns weismachen wollen, dass „Familie“ in Zusammenhang mit Korruption nur die gute alte Mafia, Camorra, Ndrangheta und Logenbrüder anderswo meine. Dabei vergaß man tunlichst die eigene diesbezügliche Familientradition: Österreich wurde ja jahrhundertelang von adeligen Clans beherrscht und ausgebeutet und in der Republik wurde diese k.u.k.-Tradition dann unter dem Deckmantel der „Familienpartei ÖVP“, so gut das eben ging, fortgeführt.
Mit dem Farbwechsel von Schwarz zu Türkis hofften nun manche fälschlicherweise, man hätte das schwarze (wahlweise koalitionär auch: schwarz-blaue/schwarz-rote) Clanwesen endlich hinter sich gelassen („Leistung muss sich wieder lohnen“) und wäre in neuzeitlicheren politischen Gefügen angelangt. Aber nein. Dank eines Untersuchungsausschusses wissen wir inzwischen, dass wir das Kapitel „neue Familienpolitik“ nicht richtig verstanden haben. Darunter firmiert weiterhin das alte Geflecht von Familienbeziehungen, das es in seinen unendlichen Verästelungen mit Doderers „Merowingern“ aufnehmen könnte. Deshalb sollten wir, die wir mit Reichen und Mächtigen weder verwandt noch verschwägert sind, endlich zur Kenntnis nehmen: Was sich in Österreich „Familienpolitik“ nennt — „Familienhärtefonds“ und all die anderen schönen „Familienförderungen“, kurzum: was immer mit „Familie-“ beginnt –, hat nichts mit uns zu tun. Nicht mit Vater, Mutter, Kind.
Vielen Dank, das spricht wohl vielen aus der Seele. Ja, die Umfärberei auf Türkis hätten Basti und seine Herzbuben sich sparen können – schwärzer geht es kaum – da könnte selbst der alte Pröll noch was lernen …