Wenn du ein Arbeitsleben lang gewerkschaftlich organisiert gewesen bist, wie das altertümlich heißt, hast du auch in Rente immer nur das Wohl jener Menschen im Auge, die sich täglich abstrampeln müssen, um nicht als verlorenes Individuum vom Moloch Arbeit aufgefressen zu werden.
An manchen Tagen muss man sich ein großes Ziel bürokratisch formuliert an die Tür des Kühlschranks heften, um ein kleines Problem des Alltags gut hinunterzukriegen durch die Speiseröhre, ohne dass man unten beim Pförtner auf der Couch eines Psychiaters zu liegen kommt.
Du erwartest ein Paket aus Polen, das zweisprachige Bücher enthält, die sich mit der Beat-Literatur in Polen und Österreich beschäftigen. Eine große europäische Sache, die leider auch einen kontinentalen Zustelldienst benötigt, anders kriegst du dieses Kulturgut nicht durch die Pandi.
Du schaust vom Balkon deiner mickrigen Beatnik-Wohnung aus zu, wie der Zusteller mit einem gelben Zettel durch die Anlage flitzt und Sekunden später wieder mit dem (polnischen?) Sprinter abhaut.
Tatsächlich bedeutet Zusteller in diesem Fall die Zustellung eines Zettels, das Paket aus Polen liegt längst in einem Secondhand-Store, der in einer berüchtigten Gegend angesiedelt ist.
Am nächsten Tag wirst du in diesem Store angeflegelt, dass du dir ein so großes Paket überhaupt hast schicken lassen.
Sie machen das nicht freiwillig, sondern weil sie nichts zu beißen haben, sagen drei Männer, die du nicht verstehst, weil alles von der Gestik einer Kultur überlagert ist, die du als bedrohlich empfindest.
Androhen von Gewalt ist ja auch schon Gewalt, hören wir neuerdings immer, wenn es wieder eine Frau erwischt in Österreich.
Du bringst dann dieses Paket mit Hilfe eines höflichen Taxilenkers ebenfalls anderer Kultur nach Hause. Und dieser Arbeitsprofi ist sehr erläuternd, denn er hat immer wieder mit diesem Zustelldunst zu tun und weiß um größere Zusammenhänge Bescheid.
Seine hilfreiche Erklärung lautet: Bei dieser Zustellfirma ist niemand der deutschen Schriftzeichen und schon gar nicht Sprache mächtig.
Stell dir vor, du stehst in Kairo vor einem Wohnsilo und hast ein fragmentarisches Klingelbord vor dir, du sollst irgendwo läuten, bei dem die Schriftzeichen mit jenem auf deinem Zettel übereinstimmen. Du wirst den Zettel ankleben und fliehen!
Als ehemaliges Gewerkschaftsmitglied bist du jetzt sehr zerknirscht, dass du die Dienste des Prekariats und fremder Kulturen so schamlos ausgenutzt hast.
In einer ersten Reaktion überlegst du, ob du nicht das Klingelbord auf Arabisch umschreiben lassen sollst, damit dich der Zusteller in einem Jahr findet, wenn das nächste Paket aus Polen kommt.
Vielleicht wäre auch die Vermittlung eines Deutschkurses nicht schlecht, aber dafür hat der Zusteller wegen seiner jetzigen miesen Arbeit, die er für seine Integration braucht, sicher keine Zeit.
Letztlich bringst du den Tag durch kluge Umdeutung der Geschehnisse in ein helles literarisches Licht.
In der Beatliteratur nämlich kommt es nicht auf die Texte darauf an, sondern auf die prekären Umstände, in denen ihre Betreiber leben. Je mieser es ihnen geht, umso bessere Beatniks sind sie. Die polnischen Freunde sind so gesehen nur die Auslöser einer Prekariatskette, die hilflos vor deiner Wohnungstür endet. Aber alles daran ist echter Beat.
Der arabische Begriff in der Überschrift ist trivial mit der Google übersetzt und heißt Gebirge. Vor diesem stehen wir alle, egal, wie wir es schreiben.
STICHPUNKT 21|39, geschrieben am 30.05. 2021