An Robert Jungk wird man sich vielleicht erinnern. Er hatte sich mit dem Buch Die Zukunft hat schon begonnen einen Namen gemacht und etablierte sich in der Folge als so genannter Zukunftsforscher. Heller als tausend Sonnen schlug in dieselbe Kerbe. Zu der Zeit, von der hier die Rede ist, also um 1984, tat er sich als führender Vertreter der deutschen Friedensbewegung hervor. Die erlebte damals ihren Höhepunkt mit riesigen Demonstrationen gegen die NATO-Nachrüstung und mit schier unerschöpflichen öffentlichen Debatten.
Ich weiß nicht wie, aber irgendwie bekam die kleine Wochenzeitung, für die ich damals schrieb, Wind davon, dass er sich in Tirol aufhielt. Er machte eine Hungerkur in einem Nobelhotel nahe Innsbruck. Und so kam man auf die Idee, ein Interview mit ihm zu machen. Und mit selbigem Interview beauftragte man – erraten! – den Verfasser dieser Zeilen.
Ich traf den prominenten Herren in besagtem Nobelhotel. Das Gespräch nahm allerdings einen unvorhergesehenen Verlauf. Mich beschäftigte vor allem der gegen die Friedensbewegung erhobene Vorwurf, sie diene dem appeasement, der Beschwichtigung. Welch schädliche Auswirkungen die hatte, das glaubten wir aus der Geschichte der dreißiger Jahre zu wissen. Als ich Herrn Jungk darauf ansprach, geschah jedoch etwas Eigenartiges. Er weigerte sich beharrlich, auf der Linie der Ausgewogenheit zu wandeln, wie sie von der Friedensbewegung vorgegeben wurde: Beide, die USA und die Sowjetunion, seien bös’, hieß es beharrlich, beide müssten abrüsten.
Nein – die Friedensbewegung in der Sowjetunion, so meinte Robert Jungk, müsse unterdrückt werden, aus Sicherheitsgründen! Schuld an allem sei der böse Westen. Bewährte Kritiker des Kommunismus wie Manés Sperber oder Alexander Solschenizyn stempelte er als „Weiße“ ab, in Anspielung auf den russischen Bürgerkrieg, welcher auf die Revolution von 1917 gefolgt war; ja sogar als „weiße Stalinisten“! Der Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen in der Tschechoslowakei (1968) sei „erforderlich“ gewesen, weil die CIA Waffenlager in dem Land angelegt habe. Der Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan (1979) war berechtigt, weil „nämlich wirklich der Plan bestand, über den Iran, vom Süden her, die Sowjetunion aufzurollen.“ (Da hatte im Iran bereits die Revolution des Ayatollah Khomeini stattgefunden, die amerikanischen Geiseln saßen in der US-Botschaft in Teheran, die beiden Staaten waren einander spinnefeind.)
Ich weiß nicht, was Robert Jungk dazu bewegte, jegliche Vorsicht außer Acht zu lassen und sich derart offen als fellow traveller zu erkennen zu geben, als Sympathisant der Kommunisten. Vielleicht waren es die Argumente aus jener verflossenen Zeit, vielleicht war’s auch der unerfahrene, naive Provinz-Reporter, der ihm da gegenübersaß. Was er sagte, war jedenfalls äußerst brisant – es stellte jene Ausgeglichenheit in Frage, jene ideologische Neutralität, welche die Friedensbewegung stets betonte.
Was sollte ich machen? Ich transkribierte das Interview, ließ aber die haarsträubendsten Passagen weg. Sie würden beim Korrekturlesen durch den prominenten Herren ohnehin nicht durchgehen, nahm ich an. Dem legten wir das druckfertige Interview nämlich vor. Es kam auch prompt zurück, mit zahlreichen Korrekturen und Anmerkungen versehen. Doch zu meiner Verblüffung führten die wiederum neue, genau so haarsträubende Argumente ein!
Heute, im Rückblick, erkenne ich, dass wir eine Sensation in Händen gehalten hätten, a scoop, wie’s im Englischen heißt. Damals haben wir an so was überhaupt nicht gedacht. Das lag weit abseits der Linie dieses kleinen, provinziell respektablen Blattes. Allerdings – so sehe ich das heute – hätte uns der scoop nicht das Geringste genützt. Niemand hätte uns geglaubt. Wir hätten nämlich den Beweis erbracht, dass die Friedensbewegung wirklich von kommunistischen fellow travellers unterwandert war, ja sogar geleitet wurde; dass sie unter dem unparteiischen Verputz wirklich, wie ihr das vorgeworfen wurde, linkslastig und Sowjet-freundlich war. Eine derartige Sensation – aus unserem winterfesten Winkel der Welt?
Wie sich herausstellte, glaubte man uns nicht einmal hier, in diesem Winkel. Ich erinnere mich an ein langes Gespräch mit einer alternativen jungen Frau, die mir zutiefst beleidigt Vorwürfe machte. Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich nichts verfälscht hatte, dass Robert Jungk selbst das endgültige Manuskript freigegeben hatte, und dass wir die kontroversiellsten Passagen ohnehin nicht gebracht hätten – vergebens. Sie glaubte mir einfach nicht. Nicht um die Burg.
Heute, 35 Jahre später, wissen wir natürlich mehr. Vor allem, dass die Friedensbewegung tatsächlich von kommunistischen Staaten finanziell unterstützt und dementsprechend benutzt wurde: eine Figur im strategischen Schachspiel, welches da im Gange war. Das ändert nichts am ehrlichen Eifer jener, die damals so empört waren, dass sie leidenschaftlich demonstrieren gingen. Aber es bestätigt auch Leute wie mich, die ihre Skepsis beim besten Willen nicht verleugnen konnten.
(Das Interview ist erschienen als „Böser Westen – bedrohter Osten“, präsent Nr. 16 (19. April 1984), 14.)