Wem gehört eigentlich die Frisur? – Die Persönlichkeitsfetischisten schwärmen natürlich davon, dass die Haar-Skulptur das Letzte ist, was ihnen noch zur freien Verfügung steht. Hingegen wissen wir aus totalitären Regimen, dass sie sich früher oder später über die Haare hermachen.
So wird im belarussischen Roman „Camel Travel“ exquisit erzählt, wie man in der Sowjetunion die Haare zur Schuluniform zu tragen hatte. Der Grad der Belarussischen Freiheit hingegen lässt sich an den Frisuren der Widerstandsmenschen ablesen, man beachte einmal einen Demonstrationszug durch Minsk unter dem Aspekt der Widerstandsfrisur.
In diesem Lichte ist auch der Haarkranz der ehemaligen Ukrainischen Ministerpräsidentin Timoschenko zu sehen, die mit ihrer geflochtenen Frisur den Resten der sowjetischen Geheimdienste Paroli zu bieten versuchte. Und gegen den Wind ist so ein Haarkranz ohne hin das Beste, was man sich auf den Kopf setzen kann.
Jetzt ist natürlich ein Schwenk auf die Nazis fällig, die mit ihrer Einheitsfrisur auf Jahrzehnte einen politischen Trend gelegt haben. Diese Prägung war so stark, dass wir Boys aus den 1950er Jahren angehalten wurden, keinen Hitlerscheitel zu tragen. Der Scheitel rechts war also verpönt.
Wir Kinder bedauerten freilich diese entnazifizierte Vorgabe, weil in der Pradler Straße auf dem Weg zur Volksschule der Morgenwind regelmäßig von der falschen Seite kam, und unsere Frisurfragmente auf links zerstörte. Mit Rechtsscheitel wären wir Kinder eindeutig besser dran gewesen. Aber man ist als Kind immer Opfer der Zeitgeschichte.
Die völlige Entnazifizierung am Kopf gelang uns freilich erst 1968 durch das Musical „Hair“, worin es vor allem darum ging, den Kopf zu schütteln und ihn frei zu machen für den Wind.
Die Befreiung vom Haarstil ging später sogar so weit, dass man plötzlich alles nebenher machen konnte, Skinhead genauso wie Wollmützenträger. Die Botschaften dahinter waren selten auszumachen, auch wenn das Boulevard immer wieder von der Haarlänge auf Kopfinhalte schließen wollte.
Die endgültige Professionalisierung des Frisurwesens gelang schließlich dem Profifußball. Da neben dem Tattoo die Haarpflege das einzige Individuelle darstellt, das diese in Einheitsdress gekleideten Kicker vom Rasen unterscheidet, wurden manche Transfers auch gleich über das Frisurencasting abgewickelt. Ein Verein schaut also immer, was er an Kohle parat hat, dann lässt er sich die Frisuren vorlegen und kauft ein. Egal ob als Tormann, als Spieler für hinten oder vorne: Wichtig ist die Frisur, damit dich der Kollege treffsicher anspielen kann.
Das letzte Kapitel der jüngeren Frisurengeschichte schreibt jetzt die Pandemie. Da es leichter ist, einen Arzttermin zu ergattern, als einen Abstrich für den Friseur, sind viele auf das Home-Cutting übergegangen.
Das Angebot ist verlockend. Um den Preis eines einzigen Friseurtermins kriegst du einen Koffer voller Schneidegeräte, Aufsetzer und Reserveklingen.
Und ehrlich: Es macht frei, wenn du mit der eigenen Frisur durch den eigenen Garten rennst, niemand sieht dich, du bist schön und wild. Du braucht nicht einmal einen Chopper dazu, um den Wind zu spüren! ‒ Dazu die passende Parole der Beatniks auf Krankenschein: „Born to be born!“
STICHPUNKT 21|29, geschrieben am 06.04. 2021