Darf ich als alter weißer Mann noch sagen, dass mir die BH-losen 70er-Jahre ziemlich getaugt haben“, schreibt der alte weiße Mann, der an sich mit genügend kulturellem Kapital ausgestattet ist, um trotz so mancher Blödheit in Woke-Kontexten nicht in Ungnade zu fallen.
Anders bei dieser Äußerung. Wenig förderlich dürfte es zudem gewesen sein, dass er noch „Schwitz…ächz…stammel“ hinzufügte, vermutlich ironisch gemeint, hatte er doch zuvor darauf hingewiesen, dass er Frauennippel, wie auf dem Filmplakat unter einem T-Shirt abgebildet, das zu ebenjenen seinen Äußerungen führte, schon als junger Mann „genossen habe“.
Er markiert sich damit gewissermaßen. Er ist nicht mehr jung, die Frau auf dem dargestellten Bild allerdings schon. Begehren, Lust oder gar Geilheit sind damit schon mal ausgeschlossen, es sei denn er will als perverser alter Sack gelten, der junge Frauen belästigt. Dennoch wird ihm von Frauenseite implizit vorgeworfen, genau das zu sein.
Ob er sich auf ein kulturelles Phänomen und damit auch auf den zum Teil imaginären Raum eines Filmes bezieht oder ob er einer BH-losen jungen Frau auf der Straße nachgepfiffen oder sie auf sonstige Weise belästigte hätte wirkt sekundär.
Das Argument ist simpel: der männliche Blick, der „male gaze“, macht keinen Halt und letztlich keinen Unterschied zwischen Imagination und Realität. Ob der stammelnde, ächzende alte Mann ein Filmplakat anstarrt oder eine junge Frau im echten Leben, spielt nicht die Hauptrolle. Es ist der Blick an sich, die Beschreibungsversuche des weiblichen Körpers von einem alten weißen Mann per se, die einigen Frauen auf seiner Timeline problematisch erscheinen.
Da hilft es ihm auch nichts mehr, dass er schließlich die Frau und deren Nippel auf dem Bild als „sinnlich“ beschreibt und argumentiert, dass einige seiner lesbischen Freundinnen diese auch „geil“ fänden. Der unerlaubte Blick ist bereits getätigt, die unsagbaren Worte geschrieben. Jahrzehnter der Objektivierung von Frauenkörpern durch Männerblicke und Männerbegriffe sind sofort aufgerufen und als strukturelles Problem gebrandmarkt, die sich nur beseitigen lassen, wenn die Frauen selbst sprechen, selbst schreiben und selbst entscheiden.
Der alte weiße Mann, ansonsten sehr beliebt ob seines erlesenen Musikgeschmacks und seines fundierten Popkulturwissens, ist zum Schweigen verdammt. Er darf die Frauennippel nicht als sinnlich empfinden oder gar begehren, weil er aus einer privilegierten Position heraus spricht, die Frauen lange Zeit mit genau dieser dadurch erlangten Macht marginalisierte und zugleich sexualisierte.
Jetzt schmollt der alte weiße Mann und fühlt sich missverstanden. Und sagt, dass es das letzte gewesen sei, was er wollte, dass er „creepy“ rüberkomme. Doch das Unheil ist schon angerichtet. Diese Causa wird wohl nicht ohne Verlust eines Teils seines kulturellen Kapitels beiseitezulegen sein.
Vom Schmollen bin ich weit entfernt, missverstanden fühle ich mich allerdings schon. Aus eigener Dummnheit halt: denn hätte ich mich statt auf das Filmplakat auf entsprechende 70er Jahre Fotos von Janis Joplin oder Uschi Obermaier bezogen, dann hätte man mich nicht so ruckzuck ins Schmuddeleck der Altherrengheilheit stellemn können. Dann wäre mein „Schönfinden“ die Bezugnahme auf einen Teenager gewesen, der in seinem Alter selbstverständlich von allem „Geschlechtlichen“ fasziniert war, sei es vom sich durch die Hose abzeichnende Gemächt von Jim Morrison, sei es vom pränippelgateigem Busen von Nancy Sinatra. Das Ping Pong zwischen meinen beiden Ichs war deppert, das Filmplakat beamte mich in meine Jugend zurück, dabei hätte es bleiben sollen. Aber wenn ich in meinem mir noch verbleibenden Leben nicht mehr „Unheil“ anrichte als in dieser „Causa“, dann halt ich das schon aus. Zumal ich mich als Feminist und Linker lieber hinter Alice Schwarzer einreihe als bei der Empfindsamkeits-Guerilla liberaler Wokeness. Und: Scheiß aufs symbolische Kapital, von dem kann ich eh nicht abbeißen.