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Wenn Chef ein Kind bekommt. Ein Kommentar zum Kommentar

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Ex-Bundeskanzler Kurz ist Vater geworden! Der Boulevard rockt und frohlockt. Chef (oder in diesem Fall Ex-Chef) hat Nachwuchs bekommen! Jetzt ist er erst richtig erwachsen geworden und übernimmt Verantwortung wie ein ganzer Mann! Wenn Chef ein Kind bekommt, marschiert die Belegschaft freudig auf, bringt Geschenke und Sekt, und dann geht der Betrieb ungestört weiter wie bisher. Wenn dagegen Chefin ein Kind bekommt, fragt man sich besorgt, ob das wohl gutgehen kann? Ist das noch eine richtige Frau, die nach der Karenz gleich wieder arbeiten geht? Ist sowas verantwortungsvolles Verhalten? Stillen, Schlafmangel, … Da kommt doch entweder die Arbeitsleistung oder die Mutterliebe zu kurz!

Eigentlich hätte ich gedacht, die Debatte wäre endlich beendet, nachdem wissenschaftlich längst erwiesen ist, dass es dem Gschrappen ziemlich egal ist, welche liebevolle Bezugsperson sich um sein Wohlergehen kümmert. Mutter oder Vater, schwuler oder lesbischer Elternteil, Großmutter oder Großvater, Kindermädchen oder -bursche (falls es solche gibt). Hauptsache eine verlässliche Bezugsperson. Hauptsache gute Ernährung, ob von der Brust oder aus dem Fläschchen. Windeln wechseln und Babynahrung zubereiten kann inzwischen jeder. Auch Mann. Und die Hauptsache: Liebe. Dazu sind, man glaubt es kaum, auch Männer fähig.

Wenn die Chefin, im kommentierten Fall ist es eine Spitzenpolitikerin, ein Kind bekommt und sich der liebende Vater oder sonst eine kompetente Person während ihrer Arbeitszeit um das Kind kümmert, dann hat die Leiterin eines Ministeriums oder eines Konzerns immerhin eine gewisse Hoheit über ihre Termingestaltung, was der kleinen Verkäuferin verwehrt bleibt. Sie kann also Still- und Spielpausen durchaus in ihren Kalender einbauen. Sie kann sich die beste Betreuung finanziell leisten. Studien besagen, dass zuhause gebliebene und auswärts arbeitende Mütter ungefähr gleich viel an konzentrierter Zuwendung für ihr Kind aufwenden, nämlich täglich nur 1-2 Stunden. Der Rest ist Nebenher-Betreuung.

Eine in Spitzenposition arbeitende Mutter verzichtet zwar auf viele spontane, schöne Momente, aber auch auf die unsägliche Mühsal der 24/7-Versorgung, die anderen Frauen oft die letzte Kraft raubt. Die psychischen Probleme vieler Kinder heutzutage sind also nicht auf die teilweise arbeitsbedingt abwesenden Mütter, sondern auf finanziell, zeitlich und emotional überforderte Eltern beiderlei Geschlechts und den Zustand unserer insgesamt durchs Leben hetzenden Gesellschaft zurückzuführen. Kinderaufzucht ist etwas Schönes, aber nicht das reine Vergnügen. Und neben aller anderen Arbeit, egal ob Hausarbeit oder Erwerbsarbeit (im schlimmsten Fall beidem; ich spreche aus Erfahrung), ist es eine derart kraftraubende Tätigkeit, dass ein durchschnittlicher (eben meist männlicher), davon abgeschotteter Politiker davon keine Ahnung hat und deshalb auch keine Notwendigkeit sieht, an den zugrundeliegenden Zuständen unserer Arbeitswelt und Kinderversorgung etwas zu ändern.

 Ich erinnere mich noch mit Grausen an einen Profil-Artikel vor vielen Jahren, in dem Andreas Khol, damals noch höchst aktiver ÖVP-Politiker, meinte, dass Frauen, die Kinderbetreuungseinrichtungen in Anspruch nehmen, „Die Kinder wie die Milchkannen abgeben“ (So sein wörtliches Zitat in der Headline). Khols Erfahrung mit Kinderaufzucht bestand darin, dass Ehefrau Heidi seine 6 Kinder in Tirol tadellos alleine versorgte, während er mit einem satten Gehalt die Familie ernährte und ansonsten größtenteils in Wien saß. Wunderbar für ihn und vielleicht auch für Frau und Kinder, aber mit einem anderen Gehalt leider nicht machbar. Zudem eine Kränkung für alle Familien, die das nicht schafften, und auch fürs gesamte, bestausgebildete österreichische Kinderbetreuungspersonal. Ich hoffte damals, dass diese Sichtweise irgendwann mit Khol aussterben würde.*

Doch alte Einstellungen sind schwer zu killen. Sie sind auch mit noch so viel besserem Wissen nicht totzukriegen. Wenn also Chef ein Kind bekommt, ist das immer noch überhaupt kein Problem. Weder in der Firma noch in der Politik. Denn es ergibt sich daraus ja keine Änderung des Arbeitsstils, weder bei ihm, noch in seinem Umfeld. Chef ist jetzt höchstens unausgeschlafen wegen des Babys und nicht mehr nur wegen der vielen Abendtermine. Bekommt dagegen Chefin ein Kind, wäre es immerhin möglich, dass sich daraus ungewohnte Situationen und Änderungen im Arbeitsumfeld ergeben. Vielleicht wird nun auch der Sekretärin zugestanden, was der Vorgesetzten selbst zugutekam: Windel wechseln im Büro, Stillen während der Arbeitszeit, Pflegeurlaub, auch wenn´s gerade nicht so gut passt? Vielleicht dauern Sitzungen plötzlich weniger lang und beschränken sich aufs Wesentliche, statt in stundenlange Überstundenplauderei zu münden? Vielleicht lernen Politiker von familienerprobten Politikerinnen, nicht bei jedem Kirchtag als Aufputz anzutanzen und ihre Lebens- und Arbeitszeit mit Schnaps und Smalltalk zu vergeuden? Wenn die Chefin ein Kleinkind zu versorgen hat, wird sie womöglich auch einem Vater Elternkarenz zugestehen, welche zwar theoretisch im Gesetz verankert, aber immer noch vom Wohlwollen des Vorgesetzten abhängig ist?

Fazit: Bekommt der Chef Nachwuchs, ist das ein Grund zu allgemeiner Freude und dann wird’s vergessen. Wenn eine Untergebene ein Kind bekommt, gratulieren alle, aber später wird es oft zum Problem, das keiner eingestehen will. Bekommt jedoch die Chefin ein Kind, wird das möglicherweise zum Game-Changer für alle.

*) Sogar Andreas Khol sieht die Sache inzwischen etwas anders, vgl. ein Interview von 2016 im Kurier. Dennoch beweist der Kommentar zu meinem letzten Beitrag, dass die uralte Sichtweise andernorts immer noch weiterlebt.

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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