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Die Kunst der Komödie

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Dankenswerterweise hat der ORF letztes Jahr eine Zeit lang die Aufzeichnungen alter Komödien ausgestrahlt, zumeist aus der Josefstadt oder aus den Kammerspielen in Wien. Das Haar in der Suppe: Sie kamen im Zweier- oder gar Dreier-Pack. Wieso man sie nicht umsichtig aufteilte, jede Woche eine, damit man sie (a) besser genießen konnte und damit sie (b) länger vorhielten – diese Frage müssten die Programmgestalter beantworten. Sofern sie dazu in der Lage sind.

Dankenswert war das Unternehmen deshalb, weil – na ja, ich will jetzt ehrlich sein und, anstatt Allgemeingültiges zu dozieren, offen gestehen, dass ich dem ORF höchst dankbar war, ganz persönlich. Diese Komödien haben in meiner literarischen Erziehung nämlich eine eminente Rolle gespielt. Die erste Hälfte meines einjährig-freiwilligen Präsenzdienstes leistete ich seinerzeit in Zwölfaxing bei Schwechat ab. Am Wochenende luden mich Bekannte in Wien ein, mit ihnen ins Theater zu gehen; hauptsächlich handelte es sich um eben solche Komödien. Und die begründeten meine Liebe zum Theater im Besonderen und wahrscheinlich auch zur Literatur im Allgemeinen. Wozu vielleicht zu sagen wäre: Nichts eignet sich besser als Einstiegsdroge! Das wird heute, da seriöse – will sagen: humorlose – Germanisten den Ton angeben, allzu leicht vergessen.

Es ist ja so, dass die Komödie, oft auch Lustspiel genannt, einen festen Bestandteil des Theaterrepertoires bildet (oder doch zumindest bildete); die beiden Bezeichnungen dürften wir heutzutage mehr oder weniger synonym verwenden. Manchmal wurden sie von Schriftstellern verfasst, die sich mittels so genannter seriöser Werke einen Namen gemacht hatten. Hugo von Hoffmansthal fällt mir da spontan ein, mit seinem Unbestechlichen. Andere stammen von Komödienschreibern der gehobenen Liga wie etwa Ferenc Molnár. Ich denke da in erster Linie gar nicht so sehr an seinen Liliom, als vielmehr an den Schwan: eine exquisite Komödie der Sonderklasse.

Friedrich Torberg hat in der Tante Jolesch sowie in fiktionaler Form in seinem Roman Auch das war Wien beschrieben, wie solche Komödien in der Zwischenkriegszeit produziert wurden. Das geschah nämlich fast schon nach industriellen Methoden. Federführend war dabei ein Bühnenverleger ungarischer Herkunft namens Georg (Gyuri) Marton mit Sitz in Wien. Er organisierte die Produktion bis ins kleinste Detail. Die Stücke wurden prinzipiell im Team hergestellt – Torberg verwendet den Ausdruck Autorenkollektiv –, zuzüglich der Spezialisten für Szenenübergänge oder für den Aktschluss. Die Teams traten unter einem Decknamen auf, wobei penibel darauf zu achten war, dass er mühelos in englisch- oder französischsprachige Lande verpflanzt werden konnte. Denn Marton arbeitete international. Im Übrigen benötigte man ab 1933 die Decknamen auch, weil viele der Autoren jüdisch waren, als solche im Deutschen Reich aber nicht mehr aufgeführt werden durften. Dank solcher Tarnungs- und Täuschungsmanöver gelang es selbst Torberg noch zu Aufträgen zu kommen. Die Produktion wurde – immer seiner Schilderung zufolge – auf jährlichen Konferenzen am Semmering geplant. Dabei legte Marton auch fest, welche Stilmittel zu verwenden bzw. künftighin zu unterlassen seien. So wurde einmal die Zahl der zulässigen Personen in einem Bühnenstück auf sechs begrenzt. Begründung: Es sollte ja auch in Troppau gespielt werden.

Zwischenruf: „Wenn der Geyer den Dialog schreibt, wird es nur in Troppau gespielt!“

In einem Falle schien es Torberg, als sei sein an sich schon bescheidener Anteil am Honorar denn doch etwas zu bescheiden ausgefallen. Er fasste sich ein Herz, sprach bei Marton vor und hielt ihm den Scheck hin.

„Gyuri – ist das nicht ein bisschen wenig?“

Wortlos nahm ihm Marton den Scheck aus der Hand, zerriss ihn und schrieb einen neuen auf die doppelte Summe aus.

„Also werde ich dich woanders betrügen“, sagte er.

Worauf Torberg bekennt: Ich kniete nieder und küsste den Saum seines Gewandes.

Doch verweisen diese Konferenzen, diese genauen Anweisungen auf ein Charakteristikum solcher Komödien schlechthin: Sie müssen nämlich makellos gebaut sein. Nicht umsonst spricht man vom pièce bien faite oder auf Englisch vom well-made play. Ungeschicklichkeiten, Holperer, Fehler gar werden nicht toleriert. Schließlich gibt es in diesem Falle ein beinhartes, unbestechliches Beurteilungskriterium: Das Publikum und seine Unterhaltung, sein Amüsement. Entweder eine Pointe funktioniert – oder sie funktioniert nicht. In letzterem Falle prallt sie dumpf auf dem Boden auf wie ein Flugzeug, das zu schwer ist um abzuheben. Da gibt es nichts zu rütteln und nichts zu beschönigen. Umso mehr muss man Autoren – oder auch -kollektive – bewundern, die Pointen reihenweise in die Lüfte sandten, und das noch dazu regelmäßig.

Heute kommen derlei Stücke aus England oder aus den Vereinigten Staaten. Wir denken an Alan Ayckborn mit Relatively Speaking oder Glückliche Zeiten (Time of My Life); sowie an Neil Simon mit Ein seltsames Paar (The Odd Couple) oder Sonny Boys (The Sunshine Boys). Etliche dieser Komödien sind durch ihre Verfilmung einem breiten Publikum bekannt geworden.

Als ich später an der Germanistik studierte, da spielten Salonkomödien natürlich keine Rolle, ganz im Gegenteil: Ich wär’ lieber gestorben, als mich bei meiner heimlichen Neigung ertappen zu lassen. Lustspiele waren ja so seicht, so unintellektuell!

Was natürlich stimmt. Bloß kommt’s darauf nicht an. Sie müssen perfekt gebaut sein, mit den Pointen an den richtigen Stellen, in den richtigen Abständen, mit genügend Situationskomik – ja nicht zu viel, kein slapstick! –, aber auch geistreich, mit Sprachwitz und satirischen Einsprengseln. Langsam bekommt man vielleicht eine Vorstellung davon, wie schwer es sein muss, so ein Lustspiel erfolgreich herzustellen. Denn das Urteil, das fällt, wie schon gesagt, das Publikum, und zwar mittels seines Lachens. Und Lachen ist unbestechlich.

So gesehen, hätte es sich für erhabene Germanisten vielleicht ausgezahlt, auch solche Komödien zu studieren. Wie viel hätte man da lernen können in punkto Struktur, interne Verknüpfungen und Bezüge, Ironie, ja sogar in punkto Formulierungskunst!

Allerdings braucht’s zu einer erfolgreichen Komödie noch etwas, und das ist noch schwerer zu fassen, noch schwerer germanistisch zu sezieren. Es bedarf der Schauspielkunst. In der Komödie kommt alles auf das richtige Maß an. Zumeist muss die Darstellung verhalten erfolgen, die Gefahr des Outrierens liegt ja ständig nahe. Das Sprechen spielt eine eminente Rolle: schnell, aber doch prägnant, deutlich, und die Pointen müssen zielsicher gesetzt werden. Auch hier ist das Lachen des Publikums der unbestechliche, wenn nicht gar unbarmherzige Richter. Mimik ist ebenfalls von Bedeutung. Ein guter Komödiant kann allein mit seinem Gesichtsausdruck eine Pointe setzen, den Zuschauerraum mit Lachen erfüllen. Oder natürlich eine gute Komödiantin – tatsächlich denke ich momentan gerade an Susi Nicoletti oder an Susanne Almassy. Für das Mienenspiel einer der beiden verschenke ich gerne Freikarten für siebenmal modernes Regietheater. Wobei’s natürlich auch bei der Mimik aufs richtige Maß ankommt, aufs Fingerspitzengefühl. Wir reden ja nicht von der Löwingerbühne. Es kommt auf den Geschmack an!

Dank der ORF-Aufzeichnungen konnte man sich selbst ein Bild machen. Zum Beispiel der bereits erwähnte Schwan von Ferenc Molnar in einer Aufführung aus der Josefstadt mit Susanne Almassy, Marianne Nentwich und Vilma Degischer. Oder aber Der Mustergatte mit Alfred Böhm, Elfriede Ott und Senta Wengraf (unter anderen). Und wenn ich an Alfred Böhm denke, dann fällt mir sofort die Pension Schöller ein. Und da wiederum Maxi Böhm. Wenn Sie einmal so richtig missmutig sind, grantig und zwider, dann geben Sie sich dieses Stück!

Das Problem ist freilich, dass es sich wirklich um hohe, um allerhöchste Schauspielkunst handelt. Die ist für solche Lustspiele unabdingbar. Man muss in der Lage sein, Banalität in einem Ton vorzutragen, der sie immer noch akzeptabel macht, ja vielleicht sogar komisch! Aber beileibe nicht zu komisch; immer bloß die feine Klinge, der zarte Zwischenton. Und diese hohe Kunst – beherrschen sie die Schauspieler von heute noch? Geschult an Brecht und ausgebildet von Peymann, mit verkrampften Verfremdungseffekten, mit grundlos erzürntem Geschrei und sinnlosem Herumgetrampel auf der Bühne? Ich hab’ da meine Zweifel.

Obwohl – ein alter Mann sollte die Kassandra in sich selbst gefälligst in Zaum halten. Jüngst durfte ich, wieder dank ORF, Kristina Sprenger in einer Komödie bewundern (übrigens eine Landsmännin von uns), die sich in das erfahrene Ensemble einfügte, als sei sie schon immer dabei gewesen. Der Titel des Stücks ist mir leider entfallen; ihre schauspielerische Leistung hingegen nicht.

Es gibt also Hoffnung. Bedarf wird an solchen Komödien weiterhin bestehen, denn nicht bloß wollen wir lachen; es lacht sich doch so viel besser in Gesellschaft! Auch das muss man erlebt haben, um es zu verstehen. Ich erinnere mich – wiederum aus Wiener Zeiten – an eine Aufführung in der Josefstadt: Monsieur Chasse oder: Wie man Hasen jagt von Georges Feydeau. Da brauchte Susi Nicoletti bloß aufzutreten und irgendwie dreinzuschauen, schon krümmte sich das Publikum vor Lachen. Wir brüllten geradezu. Ich hatte den Eindruck, sie hatte selbst Spaß an ihrer Komödiantenkunst. Und am nächsten Tag, ja wirklich: am nächsten Tag hatte ich Muskelkater am Bauch! Viel, viel später erlebten wir Ähnliches einmal in den Kammerspielen; ans Stück kann ich mich nicht erinnern, das spielt auch keine Rolle. Im Publikum saß ein Mann mit einem dröhnenden Bass, wenn der lachte, dann riss er uns alle mit. Und neben mir saß ein Mädchen mit Down-Syndrom, mein Gott, wie die sich freute, wie die fröhlich lachte!

Während ich noch an diesem Text arbeite, erreicht uns die Nachricht, dass Gertraud Jesserer verstorben ist. Es mag sentimental klingen, aber die Nachricht trifft mich zutiefst, macht mich richtig traurig. „Die Jesserer“ war ein Teil meines Theater-Lebens, ich geb’ offen zu: Ich habe sie verehrt. Und sie war Teil der österreichischen Literatur-Pflege: Hoffmansthal, Schnitzler (besonders!), aber auch Nestroy und Raimund. Salome Pockerl im Talisman! Ach, wie wird sie uns fehlen!

H. W. Valerian (Pseudonym), geboren um 1950. Lebte und arbeitete in und um Innsbruck. Studium der Anglistik/Amerikanistik und Germanistik. 35 Jahre Einsatz an der Kreidefront. War Freischaffender Schriftsteller und Journalist, unter anderem für die Gegenwart. Mehrere Bücher. Mehr Infos auf der persönlichen Website.

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