Wie schön, die Konzerte im blau-gelben Fahnenmeer, Lichterketten und Spenden, und gleich fühlen wir uns alle in Mitleid mit den Kriegsopfern verbunden und sehr viel besser. Doch Mitleid hieße mehr. Nämlich: mit den vom sinnlosen Krieg Betroffenen wirklich zu leiden. Musikgenuss tut nicht weh.
Wir verehren Menschen wie Gandhi und Martin Luther King und Nelson Mandela und deren Ausdauer im gewaltlosen Widerstand und viele glauben auch an Jesus Christus als einen göttlichen Menschen, dem es nachzueifern gelte. Deshalb setzen wir auf Gewaltlosigkeit, Neutralität und Redediplomatie, Lichtermeere und Musik. Alles soweit richtig und gut. Doch wir übersehen gerne, dass der gewaltlose Widerstand zu allen Zeiten äußerste Leidensfähigkeit erforderte. Der eine wurde gekreuzigt, der andere erschossen, einer verhungerte beinahe und der andere war jahrzehntelang eingekerkert. Ihren Mitstreitern erging es nicht viel besser. Und wir? Wir sehen betroffen die Bilder und zerfließen in wohligem Mitleid.
Würden wir demonstrativ, nur für einen einzigen Tag und auch nur andeutungsweise, mitleiden, hieße das: am Balkon Kartoffeln grillen, Lichter und Heizung ausschalten, auch wenn´s grad unangenehm frostig ist. Nichts einkaufen und kalt duschen, wenn überhaupt. Und würden auch noch Betriebe an diesem Tag ihre Kapazitäten im Energiesparmodus fahren, wäre dies ein deutlicheres Zeichen an die Kriegstreiber im Kreml und die Menschen in der Ukraine als all unsere Konzerte und blau-gelben Fahnen. Es würde zeigen: Europa kennt den Preis des Mitleids. Wir stehen zu den Opfern. Anschließend könnten wir meinetwegen am Balkon noch Hymnen singen und Kerzen schwenken. Um uns zu wärmen und fürs Wohlgefühl.