Es besteht zwar aktueller Anlass, nämlich Lawinenunglücke sowie Lawinentote (15 allein während der letzten Saison in Tirol), trotzdem reisen wir ein Stück zurück in die Vergangenheit: Damals kam ein junger Snowboarder, ein Schüler, auf der Seegrube ums Leben, weil er in einen Lawinenhang eingefahren war. Der war zwar gesperrt, ordnungsgemäß abgesichert und mit unübersehbaren Warnschildern versehen, aber wir wissen ja, wie viel so was unter Umständen nützt.
Prompt ergab sich eine öffentliche Debatte, was man gegen derlei Unfälle unternehmen könne. Und ebenso prompt meldete sich ein Schilehrer oder Tourenführer (oder so was Ähnliches) zu Wort und meinte, man müsse die Jugendlichen besser aufklären. Die Schule! Klar, die tat zu wenig, die müsse endlich mehr tun, das sei wichtiger als…
Wenn man zusammenrechnete, was alles inzwischen schon wichtiger war als der reguläre Unterricht, dann blieb für diesen nicht mehr viel übrig. Aber das nur nebenbei.
Besagter Schi-Mensch sagte aber noch was: Die Unterweisung müsse in der Sprache der Jugendlichen erfolgen, sonst würden die nicht zuhören, Ratschläge der jeweiligen Lehrer, Schilehrer oder Lawinenexperten nicht befolgen, deren Warnungen in den Wind schlagen.
Und da, an diesem Punkt, wurde es mir zu viel.
Wenn ein Jugendlicher den Belehrungen, Anweisungen und Warnungen Erwachsener, noch dazu sachkundiger und erfahrener Erwachsener, nicht Folge leisten will, so endet die Verantwortung von uns Erwachsenen oder der Gesellschaft als Ganzem, die ja auch so gerne herangezogen wird. Wenn der Jugendliche trotz allem in den Lawinenhang einfährt, so wird man ihn nicht daran hindern können. Er tut’s auf eigene Gefahr. Und wenn er umkommt – nun, dann haben wir’s ausnahmsweise einmal mit echter, nämlich natürlicher Selektion zu tun, nicht bloß mit sozialer, also unechter und verfälschender. Eine Lawine ist ein Naturphänomen.
Aber diese Sichtweise bedurfte schon damals und bedarf auch heute noch einer Erläuterung. Woran ich dachte, das war ein Beispiel, welches Konrad Lorenz einmal zur Illustration der Darwin’schen Thesen anführte: Der Affe, so sagte er, der mangels dreidimensionaler Vorstellungskraft neben den nächsten Ast griff und abstürzte, der gehört gewiss nicht zu unseren Vorfahren.
Das ist ein klassisches Beispiel für Selektion – für die richtige, wohlgemerkt, nämlich die natürliche, will sagen: jene durch die natürliche Umwelt. Wenn wir heutzutage von Selektion reden, dann meinen wir meist die gesellschaftliche, also die Auswahl aufgrund gesellschaftlich geschaffener und etablierter Kriterien. „Der Tüchtige“, zum Beispiel. Denn was heißt schon tüchtig? Gemeint ist damit doch bloß der wirtschaftlich Erfolgreiche. Aber wie tüchtig ist der im Vergleich zu einer Frau, die nicht bloß in ihrem Beruf bestehen muss, sondern auch den Haushalt schupft und die Kinder betreut?
„If wealth was the inevitable result of hard work and enterprise, every woman in Africa would be a millionaire“, hat der britische Journalist George Monbiot einmal festgestellt: Wenn Reichtum wirklich das unweigerliche Ergebnis von harter Arbeit und Unternehmungsgeist wäre, dann wäre jede Frau in Afrika Millionärin.
Wenn ein Jugendlicher hingegen unter eine Lawine gerät, weil er zu arrogant war, bei der Lawinenkunde aufzupassen oder den Warnschildern zu glauben – nun, dann verhält es sich mit ihm wie mit dem Aff’, der daneben griff. Natürliche Selektion. Wir sollten das unseren Jugendlichen einbläuen. Dann könnten wir uns viel Zeit und viel Geld für pädagogisch vorgekaute und fürsorglich eingespeichelte Unterweisung ersparen.