Sprichwörter, stehende Redensarten scheinen eine geradezu unwiderstehliche Anziehungskraft auszuüben. Man wirft sie in die Debatte, und nicht nur der Werfer selbst, alle anderen akzeptieren sie genau so, praktisch als Tatsache. Pacta sunt servanda. Verträge sind zu erfüllen. Abgesehen davon, dass es sich um eine Binsenweisheit handelt, wird der Satz gerade dann, wenn aus irgendeinem Grund über so einen Vertrag gestritten wird, nicht helfen. Insbesondere nicht im internationalen Recht.
Kommen die Zitate lateinisch daher, genießen sie besonderes Ansehen: Audiatur et altera pars; in dubio pro reo; si vis pacem para bellum. Letzterer Satz wurde gerne von den Falken im notorischen Auf- oder Abrüstungsstreit der achtziger Jahre ins Treffen geführt, Ältere erinnern sich: SS-20 Mittelstreckenraketen, Nato-Nachrüstung, Friedensbewegung. Für die Römer mag das so gegolten haben: Wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg und unterwirf den aufmüpfigen Gegner. Dann herrscht wieder die Pax Romana. Aber heute? Müsste die Parole heute nicht viel eher lauten: Si vis pacem, para pacem? Wenn du Frieden willst, bereite den Frieden vor. Wobei leider offen bleibt, wie man dem Frieden jeweils am besten dient. Friedlich sein alleine reicht bekanntlich nicht.
Aber es muss nicht unbedingt Latein sein. Goethe ist auch immer gut. Faust, der Tragödie erster Teil: Es irrt der Mensch, solang er strebt. Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein! Da steh’ ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor! Und so weiter. Nach Golde drängt / Am Golde hängt / Doch alles… Unterschlagen wird, was Goethe noch hinzugesetzt hat: Ach, wir Armen!
Friedrich Schiller eignet sich natürlich ebenso. Unser Mathematik-Professor in der Unterstufe pflegte zu spät Kommende mit den Worten zu begrüßen: Spät kommt ihr – doch ihr kommt! Um dann hinzuzusetzen: Der weite Weg, Graf Isolani, entschuldigt euer Säumen. Das hab’ ich jetzt nicht nach Vorlage zitiert, sondern nach besagtem Professor. Ob’s genau so stimmt, weiß ich nicht, es interessiert mich auch nicht.
In den altehrwürdigen (und ziemlich heruntergekommenen) Gemäuern der Klosterkaserne fand sich einst in einer Nische folgender Spruch an der Wand: Der Österreicher hat ein Vaterland / Und liebts, und hat auch Ursach, es zu lieben. Er wurde Franz Grillparzer zugeschrieben, was ja auch nahe lag, bloß leider – wie mich meine Mutter unverzüglich aufklärte, stammt er ebenfalls von Schiller, aus der Wallenstein-Trilogie (so wie der Graf Isolani). Von Grillparzer stammt unter anderem: Es ist ein gutes Land, wohl wert, dass sich ein Fürst sein unterwinde. Oder aber, nun wirklich österreichisch: Und die Größe ist gefährlich / Und der Ruhm ein leeres Spiel…
Und so weiter und so fort. Fast jedes Genie, zitierte jüngst ein Kollege den irischen Satiriker Jonathan Swift, verursacht augenblicklich eine Allianz der Mittelmäßigkeit. Und auf diesem Satz baute er seine Verteidigung von Sebastian Kurz auf. Immerhin reduziert er das Genie später auf ein „außerordentliches Talent“.
Ich habe mir im Laufe der Jahre – und das waren Jahre der intellektuellen Auseinandersetzung – ich habe mir also im Laufe der Jahre eine bestimmte Vorgehensweise angewöhnt, wenn ich mich mit so einer Zitat-basierten Argumentation konfrontiert sah. Erstens: Beleg suchen. Und siehe da: Es dürfte sich um die entstellte Version eines englischen Aphorismus handeln, welcher bereits 1706 in Swifts Bändchen Thoughts on Various Subjects, Moral and Diverting erschien. Im Original lautet er (sofern mich meine Quellen nicht im Stich lassen – das Buch selbst liegt mir leider nicht vor): When a true genius appears in the world, you may know him by this sign, that the dunces are all in confederacy against him. Wenn ein wahres Genie in dieser Welt erscheint, dann kann man es daran erkennen, dass sich die Dummköpfe alle dagegen verbünden.
Womit wir zunächst einmal sehen, wie alt der Satz ist. Sicher, es gibt Dinge, die werden mit der Zeit immer besser. Wein, so sagt man zum Beispiel. Ob’s auch für Zitate gilt, ist mir nicht bekannt. Aber mehr als 300 Jahre? Jonathan Swift war damals ein halb konservativer, halb liberaler Geistlicher (durchaus nicht unüblich), in seinen späteren Jahren Dean of St. Patrick’s Cathedral in Dublin; das alles in der Ära der Aufklärung, gegen deren Vertreter er manchmal mit ätzender Satire zu Felde zog. Das beeinflusst nicht unbedingt die Aussagekraft seines Zitats, wir tun aber doch gut daran, es im Kopf zu behalten.
Wichtiger erscheint mir ohnehin etwas anderes: Swift zufolge erkennt man ein Genie daran, dass sich die dunces, also die Dummköpfe geschlossen gegen selbiges verbünden. Mag ja sein. Man müsste die Behauptung einmal historisch überprüfen; ist nicht womöglich eher das Gegenteil der Fall?
Wir sind beim zweiten Schritt meiner Vorgehensweise angelangt: der Überprüfung anhand der Wirklichkeit. Wozu freilich gesagt werden muss, dass in der hier zitierten Version lediglich von einer „Allianz der Mittelmäßigkeit“ die Rede ist: eine gemäßigte Formulierung, somit eine höflichere. Dafür sei dem Autor ausdrücklich gedankt. Es ist ja so leicht, durch Satire zu verletzen; bloß bedeutet dies Verstimmung, Verärgerung und somit meist das Ende der Diskussion. Dafür besteht hier kein Anlass. Für mittelmäßig gehalten zu werden, fasse ich persönlich nicht als Beleidigung auf, schon gar nicht, wenn jene, welchen den Vorwurf erheben, selbst alles andere als… Na ja, man kann sich’s denken, daran erkennt man seine Pappenheimer (schon wieder Schiller).
Eine Allianz der Mittelmäßigen also, die sich gegen das außerordentliche Talent verbünden. Wenn von Sebastian Kurz die Rede ist, so habe ich mit Verlaub eher den gegenteiligen Eindruck gewonnen: Dass sich nämlich die „Mittelmäßigen“ (wenn nicht noch Ärgere) hinter ihm scharten, und dies nicht nur auf höchster Ebene in Wien – man erinnere sich bloß an den famosen Festplatten-Schredder, an die Ministerin mit ihren Diplom- und Master-Arbeiten oder an den Finanzminister, gegen den sogar der Bundespräsident einschreiten musste –, sondern auch hier, in meinem Bekanntenkreis. Da gab’s Verehrung für den Heiligen Sebastian, die jedem dunce gut zu Gesicht gestanden wäre.
Sorry: Das war jetzt gehässig, eine rein subjektive Wertung. Manchmal rutscht so was einfach hinein in einen Text. Trotzdem glaube ich insgesamt und ganz objektiv feststellen zu können: Dass sich die Mittelmäßigen gegen Kurz verschworen hätten, die Außerordentlichen hingegen in glänzender Wehr samt und sonders hinter ihm gestanden wären – das wird man so nur schwer behaupten können. Außer man erklärt alle Kurz-Gegner ipso facto für mittelmäßig, alle Kurz-Anhänger hingegen für hervorragend.
Scherz, lass nach!
Aber was ist mit Jonathan Swift? Mit seinem Zitat?
Wenn schon, dann würde es bedeuten, dass Sebastian Kurz, da sich die Mittelmäßigen eben nicht geschlossen gegen ihn verbündeten, folglich auch nicht als außerordentliches Talent zu erkennen sei. Oder gar als Genie. – Aber wie schon gesagt: Zitate beweisen überhaupt nichts. Schauen Sie sich an, was seit 2017 in Österreich geschehen ist, schauen Sie sich an, was Sebastian Kurz und seine Mannschaft aufgeführt haben, welche Zuständ’ sie hinterlassen haben, und dann urteilen Sie. Sprichwörter, abgedroschene Zitate (womöglich entstellt) brauchen Sie dazu bestimmt keine.
A Confederacy of Dunces ist ein Roman des US-amerikanischen Schriftstellers John Kennedy Toole (erschienen 1980). Er bezieht sich unübersehbar auf den alt-ehrwürdigen Aphorismus von Jonathan Swift. Auf deutsch heißt das Werk Die Verschwörung der Idioten. Ich ziehe allerdings die Übersetzung „Dummköpfe“ vor.