(c) Helmuth Schönauer

Alpen-Urne

3 Minuten Lesedauer

In loser Folge stellt das Alpenfeuilleton Ereignisse, Schicksale oder Gegenstände vor, die das Zauberwort „Alpen“ genetisch in sich tragen.   

Nach einer alten Sage, die leider verschüttgegangen ist, soll es sich bei der Alpen-Urne um die Impotenz der Bewohner handeln, die sich selbst nicht mehr vermehren und die Alpen als großes Todesgefäß betrachten, worin sie sich ungewollt bestatten. 

Da die Alpen hochgefalteter Meeresboden sind, lässt sich vieles verstehen, wenn man es am Beispiel von Meeresbewohnern erklärt.
Mit den Walen zum Beispiel.
Wale werden im Meer in Klangräumen terrorisiert, sie können nicht mehr kommunizieren und finden vor allem keine Partner, weil sie sich nicht verständigen können.

 So erklärt sich auch bei Menschen der tote Streifen an Nachwuchs unterhalb der Anflugschneise am Flughafen.
Die Menschen können sich nicht mehr vermehren, weil sie sich unter dem Turbinenlärm startender und landender Maschinen nicht verständigen können. 

Ein für die Vermehrung benötigter Teil der Bodenbewohner sagt etwa „pudern“, der andere stellt Kartoffel auf, weil er „patati“ versteht. So kommt es naturgemäß nie zu einer Vermehrung.
Und das alles nur, damit andere an den Strand fliegen können um sich dort auf den „Sand“ zu gehen. Ein Teil versteht „Sack“, es kommt wieder nicht zur Vermehrung, weil das ganze Leben ein Missverständnis ist, das sich wie bei den Walen in einem Klang-Terrorraum abspielt. 

Wale, die in einen Lärmkorridor hineinschwimmen sind meistens geil, aber beim Herausschwimmen aus dem Lärmgelände sind sie ganz ruhig und lauschen mit entspannten Genitalien den Schiffsschrauben, die über sie hinweg-sprudeln.
Da kann sich der Mensch noch etwas abschauen, „abschrauben“ sagt jemand. 

Statt einer Bürgerinitiative gegen Fluglärm beizutreten, sollte man beginnen, die Wände der Alpen-Urne mit weißer Farbe auszumalen, die bekanntlich den Lärm startender Maschinen absorbiert.
Wer keine weiße Farbe zur Hand hat, kann sich etwas Weißes in die Ohrenstecken, während die Maschinen starten. 

Bis zum Tod und der Bestattung in der weitläufigen Urne verzehrt ein einzelner Alpen-Aborigin nicht nur jede Menge Fleisch, er hört auch ein paar Millionen Dezibel an startenden Triebwerken, die freilich sinnlos laufen, weil die Bewohner alle wieder zurückkehren, wenn sie vom Sand des Sommers genug haben. 

Niemand nützt den heimischen Flughafen, um aus der Alpen-Urne zu fliehen, was die Lösung wäre.

STICHPUNKT 22|45, geschrieben am 18.05. 2022

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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