Photo by Christian Chen on Unsplash

Der Rote Teppich

3 Minuten Lesedauer

Vergangenen Donnerstag habe ich endlich den zutiefst praktischen Sinn des Roten Teppichs erfasst, als man live mitansehen konnte, was passiert, wenn er fehlt.

Die Funktion des oft schon etwas schäbigen roten Teppichs, der bei Staatsempfängen oder bei Preisverleihungen und Opernbällen ausgerollt wird, war mir nie ganz klar. Ich dachte, der sei nur dazu da, die sogenannten wichtigen Leute, ob verdient oder unverdient oder erkauft, also die VIPs, von den Normalsterblichen zu trennen und Letztere durch eine aggressive Farbe davon abzuhalten, Ersteren in den Weg zu treten. Dabei ist der Rote Teppich inzwischen schon ziemlich inflationär in Verwendung. Bei billigerluxus.de kann ihn Hinz und Kunz um weniger als 8 Euro pro Quadratmeter kaufen, wenn man sich einmal das Feeling gönnen will, ein Promi zu sein, zum Beispiel bei einer Geburtstagsfête. Unter eventpakete.com ist er andernfalls günstig zu mieten, in Hollywood Red, schwer entflammbar und bevorzugt gleich im Gesamtpaket, mit einem VIP Entrance Set.

Doch vergangenen Donnerstag habe ich endlich den zutiefst praktischen Sinn des roten Teppichs erfasst, als man live mitansehen konnte, was passiert, wenn er fehlt.

Das für mich eindrücklichste TV-Bild von Charles´ Thronübernahme war nicht, dass er mit profisportlicher Ausdauer Hände schüttelte, bis es einem vom Zuschauen schon weh tat. Auch nicht, dass er den Haupteingang zu seiner Hauptresidenz vor lauter Blumen nicht gleich fand. Nein, das Bild, das mir in Erinnerung bleiben wird, ist jenes, als er und Camilla einsam über den riesigen Hof auf den Eingang zum Buckingham Palace zuschwankten.

Beider Rücken leicht gebeugt, zwei alte Leutchen, steuerten sie einsam über den leeren Hof, rechts und links immer wieder um ein paar Schritte vom kerzengeraden Weg abweichend, was die stehende Kamera erbarmungslos festhielt. Hätte man ihnen einen Roten Teppich ausgelegt, wäre dieses Bild von Schwäche und Zerbrechlichkeit nie zustande gekommen. Hohe Funktionäre und Promis müssen schließlich erbarmungslos ihrem Image entsprechend funktionieren, dürfen nicht wanken und nie sichtbar vom ihnen vorgeschriebenen Ziel abkommen. Der Rote Teppich ist also wohl in alten Zeiten auch als Hilfestellung und zugleich Disziplinierungsinstrument für die VIPs erfunden worden, um sie auf Linie zu halten. Seit mir das klar wurde, tut mir jeder ein bisschen leid, wenn er über diesen Teppich muss.

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.