… haben mehr miteinander zu tun, als man wahrhaben möchte. Nicht nur als Dankbarkeitsbekundungen für halbwegs überstandene Zeiten.
Vorneweg: Altes Brauchtum ist schön. Umso älter, umso schöner. Deshalb hing die halbe Welt eine Woche lang gebannt vor den Fernsehschirmen, um den Grabfeierlichkeiten von Elizabeth II beizuwohnen. Man bestaunte die traditionellen Gardeuniformen, Waffen und Schottenröcke. Schließlich musste sich keiner daran erinnern, wie sich deren Träger einstmals die Köpfe einschlugen in sinnlosen Kämpfen für damals herrschende Monarchen. Ehemals waren die Knöpfe und Helme und Schwerter auch nicht so blank poliert wie heute, sondern mit Blut und Dreck besudelt. Ebenso können Szepter und Krone heutzutage auf dem Leichenwagen angstfrei als prächtige Juwelierarbeiten bewundert werden; sie ermächtigten die verstorbene Trägerin schließlich nicht mehr zu willkürlichen Todesurteilen. Und der blaue Stein in der Krone, der angeblich von der ersten Elizabeth aus Maria von Schottlands Insignien gewaltsam gestohlen wurde, berührt jetzt nur mehr durch sein Glitzern. Man stelle sich dem gegenüber als neuzeitliches Grabgeleit anstelle von Bärenfellmützen und Tudor-Uniformen eine Kohorte von nach heutigen Maßstäben ausgestatteten Militärs vor: Uns würde statt rührseliger Tränen das Blut in den Adern gefrieren.
Gleichzeitig, wenn auch nicht von so weltumspannendem öffentlichem Interesse, fanden hierzulande Almabtriebe statt, mit ebenso wunderschönem Kopfschmuck wie jenem der adeligen englischen Damen und unter gleich altehrwürdigem Glockengeläute wie dem von Westminster Cathedral. Und wie das die Straßen säumende britische Volk über der perfekten Trauerzeremonie in kollektiver Gefühlsaufwallung für ein paar Tage seine Sorgen vergaß, so lässt der fröhliche Almabtrieb hierzulande Güllegestank, Bauernsterben, Wolfsgeheul und die klimatischen Verheerungen der Gegenwart kurz vergessen. Das Menschenspalier am Straßenrand und die am Zeremoniell Beteiligten genießen das wohlige Gefühl, alles sei, wie es immer war, und habe weiterhin Bestand — in Ewigkeit, Amen.
Deshalb ist es auch unlauter, nach Aufwand und Kosten solcher Veranstaltungen zu fragen. Sie bieten den Massen einen Miniurlaub von den existenziellen Unsicherheiten der Gegenwart, sind also als Therapeutikum mit Servus-Zeitschrift und Landlust, den derzeit meistgekauften Illustrierten, zu vergleichen, bloß mit dem Mehrwert der Massenhysterie.
Zwar folgt nach dem emotionalen Besäufnis, egal ob in Trauer oder Frohsinn, natürlich der Katzenjammer, sobald man in die dröge Gegenwart zurückkatapultiert wird, in welcher man zur Arbeit hastet, den Mist eines jeden Tages wegschaufelt und abends im TV wieder bloß ukrainische und russische Tarnanzüge zu sehen bekommt. Doch, wer weiß. Vielleicht werden diese in hunderten Jahren, sofern es dann noch Nachfahren gibt, die etwas zu feiern haben, wiederum in pittoresken Umzügen den Alltag der dann Lebenden verschönern? Ach, die guten alten Zeiten …!