(c) Helmuth Schönauer

Verbunkert

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Je länger ein Krieg dauert, umso erstaunlicher werden auch die Fähigkeiten des Publikums, einen halbwegs erträglichen Zugang zum Schrecken zu finden.

Während man sich vielleicht um Geflüchtete in der eigenen Siedlung kümmert, lugt man ab und zu ins Netz, um zu sehen, was im Krieg letztlich alles vernichtet wird.

Im letzten Jahrhundert waren auch bei uns noch diese blau-weißen Schilder an Gebäuden angebracht, die auf ein schützenswertes Gebäude im Falle eines Krieges hinwiesen. Diese Gebäude galten als Tabu für Bomben und Granaten.
So betraten bis zur Jahrhundertwende herauf die Benutzer der Uni-Bibliothek das Gebäude besonders ehrfurchtsvoll, wussten sie doch, dass sie im Falle eines Krieges samt den Büchern geschützt wären.

Dass dieses internationale Schildchen am Südeingang angebracht höchstens ein nettes Gadget gewesen ist, wird jedem klar, der auf Bilder aus der Ukraine stößt.

Eine Methode, den Schrecken auszuhalten, besteht mittlerweile auch darin, die Infrastruktur der Ukraine mit jener Tirols im Falle einer Zerstörung zu vergleichen.

Eine bemerkenswerte Hilfe liefert dabei wieder einmal Wikipedia, worin das Wissen ja als Schwarmintelligenz gesammelt und aufbereitet ist.

Was zum Thema eines Beitrags wird, hängt natürlich von den Menschen ab, die in einer Gegend wohnen und sich so benehmen, dass es über sie einen Artikel gibt.

Ein Blick auf die „Liste der Literaturmuseen“ in der Ukraine zeigt etwa, welche Museen in der Ukraine gerade unter Beschuss stehen oder zumindest so verbunkert sind, dass darin ein Arbeiten nur schwer möglich ist.

Ukraine
*Alexander Puschkin und Peter Tschaikowski Gedenkstätte, Kamjanka
*Haus-Museum D.I. Jawornyzkyj, Dnipro
*Iwan Franko Gedenkstätte, Lwiw / Lemberg
*Iwan Kotljarewskyj Landgut und Museum, Poltawa
*Lessja Ukrainka Literaturmuseum, Kiew
*Michail-Bulgakow-Museum, Kiew
*Nationales Literaturmuseum der Ukraine, Kiew
*Taras-Schewtschenko-Grabmal und Gedenkstätte, Kaniw

Demgegenüber fällt die „Liste der Literaturmuseen“ für Tirol so mickrig aus, dass man auch im Kriegsfall nichts verbunkern muss.

Tirol
*Jagdhaus Hubertus, Leutasch (Ludwig Ganghofer)
*Ludwig Ganghofer Museum, Leutasch

Das aufgeführte Objekt wird auch nicht dadurch größer, dass es zweimal aufgeführt ist. Einheimische vermuten, dass es schon von jeher für den Kriegsfall vorbereitet worden ist. Die Aufführung unter zwei Begriffen soll zur Verwirrung dienen, damit der Feind nicht weiß, welches Museum er bombardieren soll.

Zumindest wenn es nach Wikipedia geht, deutet diese kleine Liste darauf hin, dass es in Tirol außer Schipisten kaum etwas gibt, was man im Kriege schützen müsste.

Ob das ein Vorteil oder Nachteil ist, wissen die Tiroler selbst nicht.

STICHPUNKT 22|67, geschrieben am 18.08.2022

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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