(c) Helmuth Schönauer

Alpwasser

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In loser Folge stellt das Alpenfeuilleton Ereignisse, Schicksale oder Gegenstände vor, die das Zauberwort „Alpen“ genetisch in sich tragen.

Hinter einem schönen Begriff steckt, wenn es sich um die Alpen handelt, meist ein grausiges Geschehen.

Niemand will an einem Ort wohnen, an dem Fäkalien Gold bedeuten. Niemand will den Tourismus schädigen, indem er darauf hinweist, dass es am Urlaubsort ziemlich beschissen zugeht.

Der schöne Begriff „Alpwasser“ ist daher von den intellektuellen Bewohnern Innsbrucks über Nacht erfunden worden, seit feststeht, dass Innsbruck das Zentrum des Abwasser-Monitorings in Österreich sein wird.

Endlich ist der Plan der Innsbrucker aufgegangen, aus Fäkalien Gold zu destillieren. Und das Tolle ist, ganz Österreich bringt zweimal in der Woche Abwässer ins Innsbrucker Labor, wo sich eine Kolonne von Labor-Arbeitskräften über die Riechfläschchen hermacht, in welche intime Ausscheidungen aus dem ganzen Land abgefüllt sind.

Zur Eröffnung der Monitoring-Epoche ist auf dem Weg in seine Vorarlbergische Heimat sogar der Gesundheitsminister kurz abgestiegen und hat etwas abgegeben. Ursprünglich hat man an eine Harnprobe gedacht, aber er hat es dann bei der üblichen Verbal-Ampulle belassen und eine kleine Rede abgegeben.

Die Zahlen sind beeindruckend, über 123 Kläranlagen werden 70 % der österreichischen Ausscheider von hinten her erreicht, alle zehn Minuten können 36 Proben ausgewertet werden.

Und was suchen die siebzig Laborierenden in den Fäkalien der Österreicher?

Das ist nämlich das Problem: Was suchst du bei den Österreichern, wenn du sie untersuchst? 

Zum Unterschied vom chinesischen Überwachungssystem, wo du letztlich die Bevölkerung in ein soziales Bonus-Malus-System bis hin zur Hinrichtung einspeisen kannst, liefert der typisch Österreichische Mensch nur leere Daten ab, die man archivieren kann in der Hoffnung, dass sie einmal Sinn machen, wenn die Österreichernden ausgestorben sind.

Bis dahin wird aus dem Alpwasser die Virenlast diverser Kategorien herausgefischt, der Drogenkonsum lässt sich feststellen und auch die geistige Verfasstheit.

(Bei Depression ist meist auch der Stuhl depressiv und kann als Warnsignal ausgelesen werden.)

In der euphorischen Stimmung hat freilich niemand überlegt, was mit den untersuchten Proben zu geschehen habe.

Experten schlagen ein kleines Klärwerk im großen vor, worin die Alpwasser-Proben Labor-anal entsorgt werden können. Es ist an einen flüssigen Datenfriedhof gedacht.

STICHPUNKT 23|13, geschrieben am 14.02.2023

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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