(c) Helmuth Schönauer

Missglücktes Sprachmaterial

4 Minuten Lesedauer

Ein literarischer Ungustl

Wenn man die eigene Schublade verlässt, in der man seit Jahren mit Gleichgesinnten drinsitzt, ist man oft erstaunt, wie viele Menschen eigentlich unkorrekt sind.

Während einem in der Blase völlig klar ist, was sich gehört und was nicht, ist man in der ungeschützten Weite außerhalb des eigenen Daseins-Möbels frechen Meinungen und Theorien ausgesetzt.

Manches lässt sich noch mit einem Tabu-Strick einfangen, fesseln und zu Boden ringen, wie etwa Helden aus der Western- und Winnetou-Szene. 

Aber kaum hat man alle Sätze eingefangen und geschwärzt, die das N-Wort aufleuchten haben, flutscht die Correctness schon wieder seitlich weg und man muss von vorne anfangen.

Behauptetet doch neulich tatsächlich ein ehemaliger Schiffskoch, der viel um die Welt gefahren ist, das N-Wort könne man anstandslos verwenden, wenn man es mit A enden lässt.

– Du müsstest die halbe italienische Sprache wegschmeißen, wenn du nicht mehr „nega“ oder „negro“ sagen dürftest. Die halbe Pasta, die Pizzen und das Öl ist voll von Qualitätsausdrücken al la Negro.

Also, du brauchst phonetische Correctness nur etwas schleissig auszusprechen, und schon passt es wieder!

Im Laufe des Gesprächs rund um diesen sagenhaften Schiffskoch in Ruhe ergeben sich noch andere interessante Anhäufungen von Sprachmaterial, von denen die eine oder andere wohl als missglückt gedeutet werden darf.

– Darf eine alleinerziehende Person einen Doppelnamen tragen?

Zuerst sind wir bloß überrascht, was alles ein Problem sein kann, aber dann bleibt doch eine gewisse Problemstellung im Kopf hängen, die man ausdiskutieren könnte.

Tun wir aber nicht, denn der Schiffskoch legt noch nach:

– Wenn ich das schon höre, ich bin dann schwanger geworden!

Also was nun, wolltest du oder bist du gezwungen worden? Dummheit kann es bei deinem Selbstbewusstsein ja nicht gewesen sein. Und warum ist der Samenspender nicht verurteilt, wenn es ein Verbrechen gewesen ist?

Huch, und das alles in der Nähe zum Frauentag, wo die Männer zumindest auf der Straße einen Tag lang freiwillig den Mund halten.

Und dann wird der Schiffskoch noch sprachphilosophisch: 

– Wenn die Sprache also die Wirklichkeit nach sich zieht, und man deshalb gendern muss und die Gewalt in Worten vermeiden, warum spricht man dann nicht die Wahrheit an der Wurzel an?

„Ich bin Mindestrentnerin, weil man mich hineingelegt hat, indem man mich in Teilzeitarbeit gezwungen hat. Ich musste in die Teilzeitarbeit, weil ich mich habe hineinlegen lassen von einem Mann, der mich schwanger gemacht hat. Ich habe ihn geklagt, aber mein Leben war schon verpfuscht.“

Als wir ganz aufgeregt diskutieren, ob man zum Frauentag so rabiate Fügungen überhaupt denken darf, geschweige denn in den Mund nehmen, empfiehlt der verrentnerte Schiffskoch wahrlich Aberwitziges:

– Nachdem eigene Geschlechtsdefinitionen heutzutage kein Problem mehr sind, verstehe ich nicht, warum sich die Frauen nicht einfach als Männer registrieren lassen. Dann wäre wirklich alles erledigt, außer dass sie am Frauentag keine Frauenveranstaltung mehr besuchen dürften.

Wir sagen nichts mehr, wünschen einander noch einen „ruhigen Tag“ und verschwinden wieder in unseren Kistchen und Denkkästchen.

STICHPUNKT 23|19, geschrieben am 6.03.2023

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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