Die Tageszeitungen liegen im Streben, weil außer den Rentnern niemand mehr weiß, was man darin lesen soll.
Wer sich einmal auf das TikTok-Format eingelassen hat, weiß zudem nicht einmal mehr, was man mit Wörtern tun soll.
Außerdem halten die meisten die Zeitung verkehrt herum, wenn sie gegen Gage ein Exemplar zu Testimonialzwecken in die Kamera halten sollen.
Von den Alten wird berichtet, dass es ein Jahr dauert, bis sie jäh erblindet das Abo kündigen, weil sie keinen Unterschied merken, ob sie die Zeitung sehend oder blind lesen.
Und das kleine Segment tapferer Tageszeitungsleser benützt vor allem drei Genres:
a) in den Todesanzeigen schauen sie täglich nach, ob sie schon drin stehen
b) beim Sudoku schauen sie auf den Pfeil, der neben der Überschrift steht und nach oben zeigt; die Tiroler Leser halten die täglich fälligen Nächtigungszahlen im Tourismus für ein Sudoku, das sie spielerisch zur Kenntnis nehmen dürfen
c) unter der Rubrik Erdgeschoss schauen sie sich die Entfernung an, die zwischen ihnen und dem Küchenbrand der vergangenen Nacht liegt
Diese Küchenbrände haben es in sich, finden doch acht von zehn im Erdgeschoss statt!
Lange war nicht klar, warum die meisten Küchenbrände im Erdgeschoss stattfinden.
Erst eine Bachelorarbeit über das Wesen der Tirolenden hat dem Zeitung lesenden Volk die Augen geöffnet.
Die sechs häufigsten Gründe für einen Erdgeschossbrand sind:
1. Das Haus hat keine weiteren Stockwerke, in denen es fakultativ brennen könnte.
2. Im Erdgeschoss wohnen besonders oft mobilitätseingeschränkte Personen, die es mit dem ersten Löschversuch nicht leicht haben, wenn es an der Herdplatte brennt und der Gehbehelf außer Reichweite ist.
3. Um das Treppenhaus halbwegs ruhig zu halten, werden viele Sozialwohnungen nach Möglichkeit „erdgeschossig“ vergeben. Oft ist ein separater Eingang dabei, damit sich die sogenannten „lauten Personen“ halbwegs leise in die eigene Alkohol-Zone schleichen. Und im Alkohol entstehen später mehr Brände, als nüchtern, wie die Bachelor-Arbeit mit Hilfe einer Text-KI feststellt.
4. Brände im Erdgeschoss werden durchwegs rascher entdeckt als solche, die sich in höherer Sphäre außerhalb der Sichtweite vom Gehsteig aus abspielen, was sich auf die Meldestatistik auswirkt
5. In Parterre-Wohnungen gibt es kaum Rauchmelder, weil die Bewohner ja schneller flüchten können, als sich ein Brand auszubreiten vermag. Das verzögert freilich auch den Feuerwehreinsatz, sodass formidable Brände entstehen, während es in höheren Stockwerken meist mit dem Abstellen des Alarms getan ist, so klein ist oft der gemeldete Brand.
6. Ab und zu treten Erdgeschossbrände auch aus Übereifer auf, wenn etwa eine zufällig vorbeifahrende Feuerwehr ins Parterre hineinspritzt, wo sich ein gehbehinderter Rentner alkoholisiert gerade eine Zigarette angezündet hat. Diese Brände geraten in die Statistik, obwohl sie keine sind, und verunreinigen diese.
Alle Erkenntnisse zu Küchenbränden im Erdgeschoss verpuffen freilich generell im Land, weil niemand mehr jene Tageszeitung liest, in der sie geschrieben stehen.
STICHPUNKT 23|93, geschrieben am 21.11. 2023