(c) Helmuth Schönauer

Umweltdevotionalien

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Religionen brauchen meist ein Trägermedium, auf dem sie sich abspeichern lassen. 

Ob es sich nun um die Gebetsmühle handelt, an der man beim Pilgern beiläufig dreht, um einen Teppich, auf dem Teile des betenden Körpers Platz nehmen, oder um abgesägte Stutzen, aus denen man dumpfe Schüsse abknallt, wenn das Allerheiligste durch den Tourismus-Hotspot getragen wird, immer ist eine Art Idee anwesend, die durch permanente Performation meist über Generationen am Leben erhalten wird.

Im landläufigen Sprachgebrauch nennt man diese mitwirkenden Gegenstände Devotionalien, die eine gewisse Andacht (devotio) erst ermöglichen.

Damit sich politisch motivierte Ideen durchsetzen können, müssen Parteien oft eine religiöse Performance hinlegen, bei der auch Devotionalien zum Einsatz kommen.

Dabei kann ein Gegenstand gar nicht klein genug sein, dass er nicht in den Mittelpunkt einer Zeremonie geriete.

Die gegenwärtig am meisten gebrauchte Devotionalie ist die sogenannte angebundene Verschluss-Kappe auf PET-Flaschen.

Die Grüne Religion leidet schon seit geraumer Zeit daran, dass sie keine handlichen Rituale hat, mit denen man sich und den Mitmenschen kundtun kann, dass man grün ist und das Klima jeden Tag im Auge hat.

Wer einmal gesehen hat, wie jemand mit angeklebter Verschlusskappe aus einer Flasche trinkt, wird sofort begreifen, dass es sich dabei um einen Akt höchster Meditation und Religiosität handelt. 
Während der Mund sich um eine geordnete Saugbewegung bemüht, schlägt die Kappe auf Nase, Kinn und Wangen, je nachdem, auf welche Gesichts-Windrichtung der Pilger eingestellt ist.

Bei PET-Usern handelt es sich generell um Menschen, die aus irgendwelchen Gründen unterwegs sind, weshalb sie in der reinsten Form als „Alltagspilger mit Wasserflasche“ auftreten.

Wie alle religiöse Zeremonien, hat auch die angeklebte Verschlusskappe einen ursprünglich nützlichen Hintergrund.

Da man es nicht schaffte, das Plastik auf dem Land und in den Meeren zu reduzieren, hat man Kappe und Flasche zu untrennbaren Einheiten verschmolzen, wodurch die Stückzahl schädlichen Plastiks zumindest am Flaschensektor halbiert werden konnte.

Ähnliche Zeremonien könnte man durchaus auf andere Gegenstände ausweiten, die uns im Alltag Sorge bereiten.

Den Billig-Kugelschreibern sollte die Verschlusskappe angeschweißt werden, den Wäschespinnen die Wäschekluppen,
Socken mit Plastikanteil sollten auf ewig miteinander verbunden bleiben, auch wenn die Schritte der Kundschaften ein wenig kürzer werden.

Und wer hat sich nicht schon über ein wild entsorgtes Auto in der Natur geärgert? – Hier sollte wenigstens das Abschleppseil untrennbar mit dem Wrack verschweißt sein, um zu suggerieren, dass eines Tages der Abschleppwagen kommen wird.

Wie in allen Religionen liegt auch im Umweltschutz der Sinn des Unterfangens in der Zeremonie.

STICHPUNKT 24|75, geschrieben am 19.09. 2024

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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