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Tiroler Sein

Ein Gastbeitrag zum AFEU-Schwerpunkt.

4 Minuten Lesedauer
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Autor: Peter Margreiter

Im Zuge unseres AFEU-Schwerpunktes „Wer oder was ist dieses Tirol? bzw. Tirol verstehen“ laden wir Menschen dazu ein einen textlichen Beitrag zu leisten. Menschen aus Wirtschaft, Politik, Kunst, Kultur, Sport und allen anderen erdenklichen Bereichen. Den Anfang macht Peter Margreiter, Erfinder von EXPERIENCE TIROL – Die immersive Show, Co-Host bei EXPERIENCE TIROL – Der Podcast und geschäftsführender Gesellschafter der Infotainment Tirol GmbH.


Es hat schon so viele Versuche – oft sehr kluge und manchmal auch weniger beeindruckende Experimente – gegeben, das „Tiroler Sein“ zu destillieren, dass ich es nicht wage, einen Osttiroler mit einem Lechtaler, einen Grünen mit einem Blauen oder einen Almwirt mit einem Schauspieler vom Tiroler Landestheater zu vermengen, um daraus den Durchschnittstiroler zu ermitteln. Das sind alles Individuen, und dennoch gibt es irgendwo eine unsichtbare, fast geheimnisvolle Verbindung, die alle zu vereinen scheint: das Tiroler Sein.

Ich möchte nicht behaupten, dass alle Einwohner von Tirol dieses Verbindende in sich tragen, aber ich sage mal: mehr als in anderen Regionen in diesem Europa.

Aber warum ist das so? Warum hat sich bei uns eine Identität entwickelt, die über politische Grenzen hinausgreifen kann? Warum kommt das Tiroler Sein vor dem Österreicher Sein? Was macht es aus, lieber zu dieser Gruppe zu gehören als zu jener?

Für mich gibt es dafür einen gemeinsamen Nenner, der sich weniger um Ideologie dreht, weniger um Tradition und Bräuche, weniger um Autonomie oder das Landlibell. Für mich ist eine Antwort – Sicherheit.

Sicherheit und Umweltbedingungen.

Das Land im Gebirge ist kein lustiges Land. Wir haben vieles, das uns Ängste bereitet hat, gebändigt, aber das war nicht immer so. Aufgrund der politischen Lage waren wir immer wieder Spielball von mächtigeren Parteien, die unsere Transitwege beherrschen wollten. Es waren die Bodenschätze, die Begehrlichkeiten von außen weckten. Es war die Natur, die mit ihren Gewalten und Jahreszeiten den Lebensraum immens einengte, und es war der Glaube, der uns zu verstehen gab, wo wir Tiroler unsere Ängste zu bündeln hatten. Diese Mischung, umrahmt von hohen Bergen und somit einem fehlenden Fluchtblick in die Weite, muss wohl als Überlebensreaktion ein Zusammenrücken verursacht haben. Somit dürfte ein sehr wichtiges Motiv für die Entwicklung des Tiroler Seins – Sicherheit – gewesen sein. Darauf baute dann das Selbstwertgefühl auf, entwickelte oder förderte bereits vorhandene Alleinstellungsmerkmale und kommunizierte diese auf unterschiedlichen Wegen. Für viele der angesprochenen Ängste tragen wir keine „Schuld“, aber wir verantworten gemeinsam die Reaktionen daraus. Aus diesem Wunsch nach Sicherheit hat sich diese Identität wohl entwickelt, die sich in einer einzigartigen Natur, einer Vielzahl an Bräuchen und einem immer wieder mitschwingenden Wunsch nach Selbstbestimmtheit bündelt.

Auch wenn diese Bedrohungen heute praktisch verschwunden sind, bilden deren Konsequenzen immer noch das Bild des Tiroler Seins. Oft mit grotesk-kitschigen Ausprägungen und einem Weltbild, das mit der Realität konkurriert. Dabei ist die Tiroler Identität kein statisches Konzept – war sie nie. Es ging zwar manches durchaus langsam, aber entwickelt hat sich das Tiroler Sein immer. Heute wurden die alten Ängste durch neue Herausforderungen ersetzt. Faktoren wie Globalisierung, Migration, Transit oder Arbeitsplätze treffen auf die Tiroler Seele, und auch darauf werden wir reagieren. Ob diesmal die richtige Antwort im Zusammenrücken liegt, werden die nächsten Jahre zeigen, aber dass wir die Kraft haben, gute Lösungen für die Bevölkerung zu finden, davon bin ich – mit Sicherheit – überzeugt. Das macht dieses Tiroler Sein aus.

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