(c) Helmuth Schönauer

Alpen-Hanse

4 Minuten Lesedauer

In loser Folge stellt das Alpenfeuilleton Ereignisse, Schicksale oder Gegenstände vor, die das Zauberwort „Alpen“ genetisch in sich tragen.

Vom Weltraum aus betrachtet zeigen sich die Alpen als eine einzige Lieferkette. Vor allem in der Nacht funkeln die LKW als Leuchtfäden durchs Gebirge, wenn sie trotz Nachtfahrverbot mit dem Verbringen von Fracht unterwegs sind.

Diese Transportrouten gleichen in der graphischen Darstellung aufs Haar den Kurven der Hanse, die diese unauslöschlich in die historischen Atlanten gekritzelt hat.

Die Hanse war eine Handelsvereinigung im Mittelalter, die von Spitzbergen bis Augsburg, und von London bis Nowgorod alles unter die Schiffskiele ihrer Koggen nahm, was wie ein Wasser aussah.

Die Manager der Hanse wurden sagenhaft reich, was in den historischen Mappen mit der Fügung beschrieben wird, dass „die Hansestädte erblühten“.

Dem ist natürlich nur im Geschichtsbuch so, in Wirklichkeit hat eine kleine Truppe von Handelsspezialisten Kohle gemacht, während die Masse der Bevölkerung als prekäre Handlanger tätig sein musste, wenn sie nicht überhaupt als buchhalterisch getarnte Sklaven eingesetzt war.

In den Alpen gibt es von Handelstreibenden schon länger die Überlegung, eine Art Alpen-Hanse zu gründen.

Dabei sollen LKW durch die Alpen glühen, was die Reifen hergeben.

Während die alte Hanse hauptsächlich mit Getreide, Salz, Bier, Fisch, Wein, Pelz, Holz, Metallen und Tuch gehandelt hat, handelt die Alpenhanse vor allem mit Touristen.

Diese haben den Vorteil, dass sie alle Handelsgüter schon am Leib tragen und zudem noch selbst mit dem Auto fahren, als autonome Handelsware sozusagen.

Freilich ist auch der Zulieferverkehr für den Tourismus gigantisch, denn jedem Touristen müssen nach seiner Anreise in irgendeinem Kaff auch Fressen, Saufen, Drogen, Sex und Unterhaltung zugestellt werden.

In der modernen Hanse fährt der Tourist mit Auto und Familie vor, und der LKW bringt ihm hinterher alles nach, was er zu Hause gerade verlassen hat.

Auch in der modernen Hanse gilt, es werden nur ein paar Hardware-Besitzer (Hoteliers) reich, die Masse muss sich auch hier wieder mit notdürftig gegenderten Arbeitsverträgen begnügen.

Als Marke ist die „Alpenhanse“ freilich ein Hit. Jeder kann sich etwas Schönes darunter vorstellen und möchte mitmachen, und sei es nur als Chauffeur, der einen Touristen quer durch die Alpen karrt. 

Dieser Beruf ist freilich gefährlich. Wenn der Tourist nämlich keine Papiere hat, gilt der Chauffeur sogleich als Schlepper und wird verhaftet.

Die historische Hanse hat ihr geschicktes Marketing übrigens über Jahrhunderte hinweg am Laufen gehalten. Heute noch dürfen sich einige Hansestädte mit dem Hanse-Buchstaben H schmücken. 
So ist Hamburg etwa HH, Rostock HRO, und Bremen HB.

Diesen frommen Brauch wollen auch die neuen Alpenhansen anwenden und ihre Autos künftig mit einem besonderen A schmücken.

Weil es so schön ist, hier zum Eingewöhnen schon einmal die neuen Kennzeichen für Tirol, das sich wieder einmal als Herz der Alpen herausputzen wird.

AIM
AIL
AI
AKB
AKU
ALA
ALZ
ARE
ASZ

Mögen die Kennzeichentragenden Fahrzeuge viel im Stau stehen, dass man sie lange sieht und sie heftig für die Alpenhanse Werbung machen können.

STICHPUNKT 24|81, geschrieben am 14.10. 2024

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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