Text: Martin Kolozs
Seit der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) ist dieser „priesterliche Hochstand“ nur noch selten im Gebrauch; mancherorts vielleicht während der Ostermesse, wenn feierlich das „Exsultet“ gesungen wird, beim tridentinischen Ritus, oder für Predigten, wie ich sie als Kind im Dom zu Sankt Jakob des Öfteren gehört habe.
Im Großen und Ganzen ist die Gewohnheit aber abgeschafft worden, dass der Priester „von oben herab“ das Wort Gottes an das Kirchenvolk verkündet und seine Auslegungen darüber anschließt. Ja, heute würde es für die meisten Besucher der Eucharistie wohl eigenartig anmuten, wenn sie dem Evangelium mit aufgerichteten Blick lauschen müssten.
Aber warum ist das so?
Natürlich fällt uns dazu als erstes das Wort „abkanzeln“ ein, mit dem viele (wenn nicht sogar alle) Menschen ein rein negatives Gefühl verbinden. Niemand von uns will „klein gemacht“, „belehrt“ oder „öffentlich angezeigt“ werden; die Kanzel wird in diesem Zusammenhang also als Pranger gesehen, wo das geschriebene Wort gegen die alltägliche Handlung aufgewogen wird … und wir sind doch alle Sünder!
Aber kann die Kanzel nicht auch anders gesehen, verstanden werden?
Auf den zweiten Blick ist sie für mich auch ein sehr positiv besetztes Symbol, einerseits für die Gläubigen, andererseits für die Kirche und den Priester selbst: Die Kanzel ist erstens und ursprünglich der Ort der Verkündigung und damit auch ein Orientierungspunkt in unserem Glauben, der uns Demut lehrt, aber auch zu wachsen, indem wir „nach oben“ streben, um näher bei Gott zu sein; zweitens ist die Kanzel auch ein Aussichtspunkt, von dem aus der Priester und durch ihn die Kirche bis in die letzte Reihe sieht, wo im Schatten und am weitesten entfernt vom Altar jene sitzen und stehen, die das Wort Gottes kaum mehr hören.
Was ich damit sagen will ist Folgendes: Die Kanzel ist kein ausgedientes Möbel in der Kirche, sie hat heute vielleicht nur eine andere, neue Funktion. Sie erinnert uns, dass Gott nicht „von oben“ auf uns herabschaut, sondern uns mit seinem liebenden Wort an sich zieht und erhöht, und sie ist überdies (heute vielleicht wichtiger denn je) die sichtbare Aufforderung an alle, die ihren Dienst in der Kirche tun, weiter zu blicken und bis an die Grenzen und weiter zu gehen, denn der lebendige Glaube endet nicht an der Kirchentür, sondern muss hinausgetragen und bezeugt werden im Guten, denn nur so können wir wahre Zeugen Christi werden, und mit Gottes Hilfe ein Beispiel für diejenigen, die noch nicht die Frohbotschaft unseres Herren hörten.
Titelbild: Petra Dirscherl / pixelio.de