Du fragst mich, was Glaube ist #10

27. Mai 2016
1 Minute Lesezeit

Ich glaube, hilf meinem Unglauben.[1]



Heute weiß ich es (vielleicht) besser: Wer nicht zweifelt, dessen Glaube ist nicht lebendig; dessen Glaube hat sich hinter starren Strukturen eingemauert; er kennt nur feste Regeln, welche kein „Aber wenn“ zulassen. Dieser Glaube ist tot, wie ein Museumsstück, das man hinter Glas ausstellt, und das nur angeschaut werden kann.
Der Glaube, wie ich ihn verstehe, ist jedoch auch nicht wankelmütig; er wurzelt tief und hält allen Wetterumschwüngen stand. Er ist der Baum des Lebens, der dankbar ist für die Sonne und den Regen, der annimmt, was ihm gegeben wird, der im Sturm geschmeidig schwingt, aber nicht daran zerbricht.
Diesem Glauben begegne ich überall; ja, wenn ich aufmerksam bin, erkenne ich ihn im Alltäglichen. Es sind keine großen Wunder und keine waghalsigen Heldentaten, die ich dann erlebe; es sind gute Worte, kleine Hilfeleistungen, liebevolle Berührungen, Zeichen von Menschlichkeit und vieles andere mehr.
Manch einer wird jetzt sagen: Dafür muss man nicht gläubig sein, sondern nur am Leben teilnehmen; denn jeder erfährt Gutes und jeder tut Gutes, einmal mehr und einmal weniger.
Man wird auch fragen (zu Recht): Wie erklärt man, im Lichte dieses Glaubens, Kriege und Leid, ja, den Tod von Hunderttausenden, Millionen unschuldiger Menschen?
Hier kommt der Glaube in den Zweifel, auch weil uns die Antwort nicht gefällt: Es ist der Plan Gottes!
Ich gebe zu, auch mir wird es kalt, wenn ich daran denke. Und manchmal empfinde ich sogar Wut und Enttäuschung darüber. Aber dann sage ich mir, wenn ich das Gute annehme, warum nicht auch das Schlechte?[2] Warum sehe ich Gott im einen, aber stelle ihn (seine ganze Existenz) infrage wegen des anderen?
Wäre es nicht einfacher, ich verlöre meinen Glauben und täte alles samt und sonder damit ab, dass das Leben eben so sei und kein Gott damit etwas zu schaffen hätte?
Nein!
Denn nur im Glauben bin ich wirklich stark; auch stark genug, um das Schlechte, ja, das Böse in der Welt zu ertragen. Und hätte ich meinen Glauben nicht, dann erschiene mir auch das Gute und Heilsame ohne Sinn.
Im Glauben verstehe ich Gott, verstehe ich seinen undurchsichtigen Plan, auch wenn ich manchmal keine Erklärung dafür finde.
Martin Kolozs, 21. Mai 2016
Die elfte Folge erscheint zur Monatsmitte Juni 2016


 
[1] Mk 9,24
[2] Hiob 2,10
Artikelbild (c) Luca Volpi, Reliquario, flickr.com

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