Du fragst mich, was Glaube ist #12

1. Juli 2016
1 Minute Lesezeit

Glaube ist Beziehungsarbeit.


Kürzlich durfte ich eine Messe mit gestalten, die zum fünfzigsten Hochzeitstag der Eheleute X gefeiert wurde; ihre Familie und Freunde waren da, der Priester predigte über den Hl. Johannes den Täufer, dessen Hochfest wir an diesem Tag ebenfalls begingen, und ich legte mir währenddessen im Kopf jene Fürbitten zurecht, welche ich über die Segnungen einer fast lebenslangen Beziehung sprechen sollte.
Anfangs fiel es mir schwer, die richtigen Worte dafür zu finden, weil ich mir als Mittdreißiger kaum vorstellen konnte, was es bedeutet und vor allem dazu braucht, um über fünf Jahrzehnte mit ein und demselben Menschen zusammen zu leben (obwohl das meine Idealvorstellung ist).
Wie gut muss man sich selbst, aber vor allem den anderen kennen? Wie viele Kompromisse muss man schließen? Und wann eine notwendige Grenze ziehen? Wie erträgt man den Zweifel, weil man voneinander nie alles wissen kann, und wie geht man mit dem Schlechten um, das man einmal gemeinsam, einmal wegen des anderen durchmacht? Usw.
Es wäre gelogen, wenn ich jetzt darauf eine Antwort geben könnte, aber mir fällt dazu ein Zitat von Karl Rahner ein, das mir persönlich oft in solchen Beziehungsfragen geholfen hat; er sagte in etwa: „Glaube heißt, die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang aushalten.“
Und ich meine das stimmt, für jede Art der Beziehung; ebenso im menschlichen Miteinander wie in unserem Leben mit Gott: Hier und dort haben wir Fragen und Zweifel, erfahren wir ebenso viel Liebe wie Zurückweisung, tragen wir den anderen auf Händen und selbst (so scheint es) nur Wunden davon, fühlen wir uns geborgen, verstanden und leider auch, immer wieder, das Gegenteil.
Dennoch kann es gelingen, diese und jede Beziehung ein ganzes Leben lang zu führen, durch die simple Erkenntnis dessen, was die Liebe zum Wunder macht: Sie ist unbegreiflich.
Martin Kolozs, am 28. Juni 2016
Die dreizehnte Folge erscheint zur Monatsmitte Juli 2016

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